Bei seiner Rede im Deutschen Bundestag über die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaats am 22. September hat Papst Benedikt XVI. die Grenze eines verbreitet positivistischen Denkens und der damit einhergehenden "selbstgemachten Welt" deutlich gemacht. Der positivistische Naturbegriff ist reduktionistisch und erreicht die Welt nicht in ihrer ganzen Weite und Tiefe. Als Beispiel für eine Überwindung dieser positivistischen Engführung hat Benedikt XVI. die ökologische Bewegung genannt: "Jungen Menschen war bewusst geworden, dass irgendetwas in unserem Umgang mit der Natur nicht stimmt; dass Materie nicht nur Material für unser Machen ist, sondern dass die Erde selbst ihre Würde in sich trägt, und wir ihrer Weisung folgen müssen. [...] Die Bedeutung der Ökologie ist inzwischen unbestritten, und wir müssen auf die Sprache der Natur hören und entsprechend antworten."

Papst Benedikt im Bundestag

Was tun, wenn der Mensch die Erde auffrisst?
von Thomas Schumacher

Es ist eine Entwicklung, die sich bereits seit Jahrzehnten abzeichnet, deren Konsequenzen seit der Jahrtausendwende  in aller Deutlichkeit hervortreten: Globale Erwärmung, Ozeane leergefischt und am Übersäuern, Dezimierung der Arten, Lebensmittelpreise wegen realer Knappheit auf Rekord, die größten Dürren gefolgt von Extremregen, dessen Fluten alles hinwegspülen, Wasserknappheit in den Wachstumsregionen, Jahrhunderthunger in Ostafrika – und das alles ist erst der Anfang einer unheilvollen, entfesselten Dynamik, die aufgrund der globalen Erwärmung und anderer anthropogener Faktoren immer weiter zunimmt. Manche sprechen bereits von einer erdgeschichtlichen Epoche ganz im Zeichen des Menschen und nennen diese, mehr verschämt als stolz, Anthropozän: Menschenzeitalter.

             Immer mehr Menschen – heute 7 Mrd, 2025 8 Mrd, 2083 10 Mrd, und zwar bei moderater Entwicklung und geringeren Geburtenraten als heute – beanspruchen für sich und ihresgleichen einen immer größeren Teil der Flächen und der Ressourcen dieser Erde. Dabei drängen die Menschen die übrigen Lebewesen unaufhörlich zur Seite. Besonders sichtbar wird dies bei den Säugetieren. Die weltweite Vernichtung der natürlichen Lebensräume durch zunehmende menschliche Besiedelung, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wasserbau, Flächenversiegelung, Umweltverschmutzung und Klimawandel hat zur Ausrottung ganzer Populationen und einem stark beschleunigten Artensterben geführt. Nicht einmal für die Menschen selbst ist diese Entwicklung gesund.

             Immer größere Teile der Ökosysteme weltweit werden von der menschlichen Einflussnahme erfasst, geschädigt, zerstört – sei es unmittelbar wie bei den Brandrodungen im Amazonas-Regenwald, sei es schleichend-mittelbar wie durch die globale Erwärmung und den dadurch bedingten Klimawandel. Der Anteil an natürlichen Ökosystemen wie Regenwälder und intakt funktionierende Meeresökosysteme sinkt beständig. Seit Beginn des 20. Jhd. sind etwa die Hälfte der weltweiten Feuchtgebiete und 40% aller Waldflächen menschenbedingt bereits verloren gegangen. Der zunehmende menschliche Verbrauch an Flächen und Ressourcen sowie die steigenden Emissionen ziehen die Ökosysteme weltweit in ihren Bann und bringen diese nach und nach zum Kollabieren.

             Die Hungerkatastrophen in Äthiopien und in der Sahelzone in den frühen 70er und 80er Jahren galten vor allem als Indiz für eine ungerechte Verteilung von Gütern – Lebensmittel wären weltweit gesehen genügend vorhanden, man müsse diese eben umverteilen – so die damals vorherrschende Meinung. Inzwischen aber hat die komfortable Situation, einfach nur umverteilen zu können, ihre Grundlage verloren. Eine Schwelle ist erreicht, da es aufgehört hat, für alle zu reichen – aus mehreren Gründen: auch weil immer mehr Esser dazugekommen sind; auch weil der pro Kopf-Verbrauch gestiegen ist; auch weil immer mehr Menschen zur neuen Mittelschicht in Asien, Afrika oder Lateinamerika aufschließen und Wohlstand erreichen, Millionen von ihnen sich neuerdings Fleisch leisten können und dies auch tatsächlich tun; auch weil die Menschen in Industriestaaten und Schwellenländern den Löwenanteil an den Ressourcen verbrauchen; auch weil viele Pflanzen statt als Nahrungsmittel ebenso als Energieträger verwertet werden können, daher die Märkte für Lebensmittel und Energie zusammengewachsen und wegen stark steigender Nachfrage beide unter gewaltigen Druck geraten sind.

             Die seit der Jahrtausendwende explodierten Nahrungsmittelpreise sind das Resultat einer realen Verknappung, nicht etwa das Machwerk gieriger Spekulanten. Die Nachfrage ist explodiert, das Angebot steht unter gewaltigem Druck. Der Klimawandel belastet die Landwirtschaft in nennenswertem Umfang, regional bis hin zur Unmöglichkeit, wenn anstelle eines früher relativ verlässlich planbaren Monsuns nun Dürren und Fluten einander abwechseln. Vielerorts hat die Intensivbewirtschaftung die Tragfähigkeit der Böden überschritten. Längerfristig sinken die Erträge, die Böden degradieren und versalzen bis hin zur Degeneration. Deutlich überstrapaziert ist die Wassersituation vor allem in den armen, trockenen Gebieten, in denen die Bevölkerung zudem am stärksten wächst.

             Entgegen allen politischen Initiativen und trotz der bereitstehenden grünen Technologien ist es bisher nicht gelungen, den globalen Ausstoß von Treibhausgasen auch de facto zu begrenzen. Ganz im Gegenteil: Der Verbrauch an fossilen Energieträgern erreicht 2011 wieder einen neuen Rekord. Der menschliche Ausstoß von Treibhausgasen, insbesondere CO2, erklimmt ein Allzeit-Hoch nach dem anderen und steigt auch in den nächsten Jahren zwangsläufig immer weiter an, sogar weit über jenes Maß hinaus, das zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2° notwendig wäre: ein völkerrechtlich verbindliches Ziel, welches einzuhalten Tag für Tag unrealistischer wird. Längerfristige Orientierung statt kurzfristigem Nutzen? Fehlanzeige. Ökologie sticht Ökonomie? Eine Utopie.

             Der Ressourcenverbrauch in seinem ganzen Spektrum übersteigt die Kapazität der Erde deutlich. Limits sind nicht nur erreicht, sondern längst und bei weitem überschritten. Allein der menschliche Verbrauch – und es gibt nicht nur Menschen auf der Welt – liegt heute um 50% oberhalb dessen, was die Erde für alle Lebewesen gemeinsam überhaupt bereitstellen und regenerieren kann. 1976 hat der menschliche Verbrauch die 100% Marke bei der Kapazität durchbrochen. Die Überstrapazierung dauert mittlerweile seit fast 40 Jahren an – wer kann so etwas verkraften?

             Eigentlich verbrauchen wir bereits jetzt 1,5 Planeten Erde – es gibt aber nur diesen einen Globus. 2050 bräuchten wir 3 Erden. Und wenn alle so leben würden wie die Deutschen, die ja nicht einmal als die Schlimmsten gelten, dann bräuchten wir schon heute 3 Planeten Erde, deren Biokapazität allein von Menschen vollständig ausgeschöpft würde.

             Ein Verbrauch der Biokapazität der Erde in Höhe von 150% dessen, was vorhanden ist, eine anhaltende globale Überstrapazierung, eine Weltbevölkerung von 7 Mrd, die jeden Tag weiter wächst – das sind nicht mehr nur abstrakte Zahlen, die man vermelden, verwalten und archivieren kann. Das ist der Ernstfall.

             Es ist wie bei den Staatsschulden, die lange Zeit abstrakt schienen und niemanden ernsthaft betrafen. Auf einmal steht die Insolvenz ins Haus, und die Menschen werden betroffen: keine Rentenzahlung mehr, keine Gehälter, keine Stütze und niemand mehr da, den man in Regress nehmen kann; höchstens noch die anderen Staaten, von denen man meint, Anspruch auf immer neue Rettungspakete zu haben. Aber was, wenn die nun ebenso vor der Pleite stehen? Leider hat der Satz, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, auf dieser Erde keine Gültigkeit. Das Leben kann hart sein – um so schlimmer, wenn es die Anderen waren, die es verbockt haben. Die jungen Griechen fragen heute ihre Eltern: Was habt ihr uns da angetan, warum und wozu? Die anthropozäne Krise, in welche die Menschen die ganze Welt gestürzt haben, sie wiegt erheblich schwerer als die Schuldenkrise der abgewirtschafteten Staaten.

Zukunftsfähigkeit

Fest steht, dass der bisherige Wachstumspfad über schmutzige Industrialisierung keinen gangbaren Weg für die Zukunft darstellt; weder für die Industrieländer, die auf diesem Weg wohlhabend geworden sind und die nun einen kompletten Paradigmenwechsel hin zu umfassender Nachhaltigkeit zu leisten haben, noch für die Schwellenländer, die nur zu gern zuerst den Wohlstand steigern würden, bevor auch sie selbst grün werden müssen. Das jahrelange, ergebnislose Ringen auf den Weltklimakonferenzen resultiert aus diesem Zielkonflikt. Das wichtige, aber nicht zustande gekommene Nachfolgeabkommen für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll hakt genau an dieser Frage.

             Nicht weniger als ein Paradigmenwechsel ist notwendig, um Wohlstand vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln und auf eine komplett nachhaltige Basis zu stellen. Technisch gesehen geht das. Eine derartige Wende (Energiewende, Ressourcenwende usw.) ist also durchaus machbar. Dies bedeutet aber zugleich, sich von bisher gewohnten Pfaden ganz schnell zu verabschieden und so ziemlich alles mehr oder weniger komplett neu erfinden zu müssen: regenerative Energiegewinnung frei von Abgasen, Produkte fast ohne Verbrauch von Primärressourcen und ohne Restmüll, verantwortungsvolle Lebensweise durch jeden Einzelnen persönlich. Dies alles bedeutet nichts weniger als die Umstellung von einer weltverschleißenden zu einer weltverträglichen Daseinsweise: quasi zurück zur Natur – aber auf einer höheren Ebene.

             Die Perspektiven klingen verheißungsvoll: Strikte Nachhaltigkeit gestützt durch eine Fülle an Innovationen, Recycling, regenerative Energien, Wohlstand frei von Ressourcenverschleiß und Emissionen. Doch was kostet das alles? Nachhaltiger und grüner soll es zugehen. Reiche Eliten in Kalifornien oder in den Emiraten tun sich verhältnismäßig leicht, das eigene Leben weitgehend auf Nachhaltigkeit umzurüsten, ein Elektroauto zu fahren und Strom vom eigenen Solardach zum Aufladen zu nutzen. Auch in München-Schwabing tut man sich leicht, Öko und Bio nicht nur zu nutzen, sondern auch selbst ein Stück weit zu sein. Allerdings ist ein nachhaltig geführtes Leben teurer als ein althergebracht schmutziges.

             Vielerorts entstehen grüne Inseln, die vormachen, was alles möglich ist. Die heute verfügbaren Technologien reichen aus, um die Umstellungen zu gewährleisten. Abu Dhabi schafft mit Masdar City eine grüne Stadt mitten in der Wüste, die nicht mehr durch Erdöl, sondern auf komplett nachhaltige Weise CO2-emissionslos und nahezu abfallfrei bewirtschaftet wird – einschließlich solarbetriebener Klimatisierung. Das kleine, feine Monaco macht vor, wie man erfolgreich von alt auf neu umrüstet. Auch der Weltkonzern Google baut zur Zeit um. Homezones, Stadtteile, ganze Städte – Umrüstung ist de facto möglich.

             Aber eine Umstellung im großen? Eine Komplettmi-gration ganzer Volkswirtschaften? Noch dazu ohne dass man die schmutzigen Industrien in andere Zulieferstaaten wie bisher ausgliedern kann? Wie macht man China zu einem null-Emissions-Powerhouse? Wie bekommt man Indien emissionsfrei? Und wie soll man dies alles in kürzester Frist schaffen, da die Zeit davonläuft? Und wer soll das alles bezahlen?

             Bill Gates erfuhr bei seinem Deutschlandbesuch 2011, dass die Deutschen ihre Atomkraftwerke abschalten werden. Er bemerkte wohl nicht zu Unrecht: sich solch einen Schritt leisten zu können, sei ein Zeichen von echtem Wohlstand. Einfach nur richtig leben als Luxusgut?

 

Qualitative und quantitative Dimension der Überbevölkerung

Wie weltverträglich oder nicht-weltverträglich die Menschen leben, ist eine Sache. Wie viele von ihnen dies tun, ist eine zweite. Erst das Produkt aus beiden Faktoren enthüllt schonungslos, wie groß die Probleme wirklich geworden sind. Beim „wie“ wird allmählich deutlich, was ein derartiger Umbau bedeutet. Das Modell einer nachhaltig bewirtschafteten Welt klingt sehr gut, es ist wünschenswert und es ist alternativlos. Aber mit wie vielen Menschen an Bord geht das? Die Frage „wie viele“ zu tabuisieren, trägt sicher nicht zur Lösung bei. Das Problem der Überbevölkerung hat nun einmal zwei Dimensionen: eine qualitative („wie“) und eine quantitative („wie viele“).

             Die Feststellung, dass die Erde überbevölkert ist, erntet im tiefergehenden Gespräch meist Zustimmung, ist aber dennoch im allgemeinen Bewusstsein noch kaum verankert. Manche streiten nach wie vor gänzlich ab, dass Überbevölkerung überhaupt vorliegt. Sie meinen, dass man 7 Mrd Menschen und künftig noch mehr durchaus ernähren könne; wenn auch unter vermehrten Anstrengungen. Allerdings betrachten die Vertreter einer derartigen Meinung nur einen Teilbereich der Problematik und schließen andere Bereiche aus ihrer Betrachtung aus. Sie gründen ihre Annahme einfach nur auf den Menschen und seine direkten Bedürfnisse wie z.B. Ernährung, lassen dabei aber die Gesamtbetrachtung von Ressourcen und Kapazitäten der Erde außen vor.

             Andere bejahen die These faktischer Übervölkerung auf der Erde, verorten diese jedoch in den Entwicklungsländern. Hierzulande, meint man, gebe es wohl eher zu wenige Geburten. Schließlich sind die Sozialsysteme hierzulande auf einen Generationenvertrag ausgelegt, und irgendjemand müsse später einmal für die Schulden geradestehen. Genau diese verbreitete Betrachtungsweise geht jedoch an der Wucht des Problems vorbei, sie erscheint unzutreffend und irreführend. Gerade die Menschen in den Industriestaaten – also wir – sind für die Überstrapazierung der Erde heute verantwortlich. Ein Deutscher wiegt ökologisch gesehen für 5 Inder. Die Deutschen miteinander verbrauchen doppelt so viel Biokapazität, wie Deutschland hergibt. In Indien ist dies (noch) nicht der Fall. Wo also besteht nun tatsächlich Überbevölkerung? Ein US-Amerikaner wiegt ganze 8 Inder auf – und die Bevölkerung in den USA wächst auch künftig munter weiter.

             Dass menschliches Leben künftig grundsätzlich nur auf der Basis von Nachhaltigkeit überhaupt möglich ist, beginnen wir allmählich im Kopf zu verstehen und im Herzen zu spüren. Müssten also nicht wir, die wir unter den gegenwärtigen Herausforderungen auf der Erde leben, gleichsam die Luft anhalten und unser möglichstes geben, um die anstehenden Anpassungen zu leisten? Und müssten wir nicht beginnen zu verstehen, dass wir damit aufhören sollten, neue Spieler auf jenes Feld zu schicken, das schon mit der heutigen Mannschaft überlastet ist?

             Das Bestreben, angesichts gegenwärtiger und sich weiter verstärkender Überbevölkerung einen Wachstumsstop bzw. eine wieder sinkende Weltbevölkerung zu favorisieren, wird von verschiedenen Seiten mitunter als menschenverachtend gebrandmarkt und tabuisiert. Dies geschieht zu Unrecht. Keineswegs nämlich steht das Ideal einer gemäßigten Weltbevölkerung unter dem Vorzeichen der Verhinderung. Nicht Verhinderung in einem negativen Sinn, sondern positive Ermöglichung eines (gesunden und lange währenden) Lebens in adäquaten Proportionen mit der Welt mag heute dazu motivieren, entschlossen sowohl gegen die ökologisch-qualitative als auch gegen die quantitative Seite der Überbevölkerung vorzugehen. Das ist kein Malthus 2.0.

                Es ist an der Zeit, den Verdrängungswettbewerb gegen den Rest der Biosphäre zu beenden und die Fakten anzuerkennen. Dass der Mensch selbst Teil dieser Welt ist, die Welt wiederum sogar Bedingung der Möglichkeit für sein eigenes, kleines Leben, dass diese Welt selbst einen Wert besitzt und dass die Welt nicht nur zur Befriedigung der menschlichen Nachfrage allein bestimmt ist, wird spätestens dann spürbar, wenn die ökologischen Katastrophen in grausamer Weise auf die exponiertesten Regionen zurückschlagen. Es ist also höchste Zeit, den nächsten Schritt zu wagen und endlich im Einklang mit der Welt und nicht mehr gegen sie das Leben zu führen.

Quelle: Text entnommen aus: Schumacher, Thomas: Fortpflanzung stop! Was tun, wenn der Mensch die Erde auffrisst?

 

 

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