Thomas Schumacher

christliche Existenz


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I.              Christliche Existenz

 

II.            Kreatürlichkeit

 

III.          Die große oi)konomi/a

 

IV.          Antwort

 

V.            Kirche

 

VI.          Spiritualität

 

VII.        Existenz im Übergang

 

 

 

 

 



 

I. Christliche Existenz

 

Was macht christliche Existenz aus? Eine Erläuterung dieser Frage zielt auf die Identität des Gläubigen insgesamt, nicht nur auf einzelne Aspekte von Glauben oder Weltanschauung. Daher genügt keine partikulare Antwort. Zahlreiche Themenfelder ragen ineinander und leuchten jeweils einzelne Aspekte des Einen und Ganzen aus. Christliche Existenz zu erläutern, zielt auf die Einholung eines Gesamtverständnisses, welches alle exisistenzrelevanten Bereiche des Menschen in sich schließt: den Bereich des Glaubens (Theologie, Oikonomie), die natürliche Ordnung (Kreatürlichkeit), Dimensionen der Antwort (Annahme, Hingabe, Selbstvollzug, Weltbezug, Dienst), das Leben der Kirche, Spiritualität und die Tatsache der Vorläufigkeit irdischer Pilgerschaft unterwegs zur Vollendung bei Gott.

 

1. Bei der Ausfaltung christlicher Existenz geht es primär um das „Ganze“. Dieses Ganze mag in ganz unterschiedlichen Formen und stets nur als Fragment zum Ausdruck kommen. Dabei ist für den Christen das Bekenntnis zu „Jesus Christus“ zentral; allerdings erscheint eine derartige Kurzformel nicht immer ausreichend, bleibt dabei doch vieles unreflektiert – nur implizit – außer betracht. Eine ausführlichere und umfassen-dere Antwort kann aber in ganz unterschiedlichem Umfang erfolgen, je nach dem Maß, inwieweit Implizites auch explizit gesagt werden soll.

Die Ausführlichkeit kann dabei der Breite und Tiefe nach variieren, entsprechend den jeweiligen Rahmenbedingungen und der Absicht, wie tief man im Einzelfall gehen soll. Auf die Frage nach der Hoffnung, die uns erfüllt (1 Petr 3,15), stehen im konkreten Fall vielleicht nur zwei Minuten für die Antwort zur Verfügung. Anders mag die Rechenschaft in einer ganzen Stunde ausfallen, wieder anders im Rahmen einer Vortragsreihe, eines Katechismus oder einer Webseite. Noch einmal anders, mehr als Glaube aufgrund von Taten, stellt sich das Zeugnis im Martyrium dar.

Mit lediglich der Spitze des Eisberges mag man sich begnügen, wenn die direkten Implikationen aus den Obersätzen evident sind oder außer Frage stehen. Dies geschieht z.B. im Taufritus, wenn die Katechumenen Antwort auf die Frage nach ihrem Glauben geben; schließlich ist dies nicht der Ort, an dem Theologie in extenso ausgefaltet werden könnte, wobei sie selbst dann noch immer nur Fragment bliebe. Insofern darf hier die rituelle Kurzformel, das Symbolon, genügen, zumal durch den sprachlichen Ausdruck als symbolischen alles weitere – wenn auch in diesem Moment überwiegend unbewußt,  unausdrücklich, athematisch –  mit eingeschlossen wird. In den jeweiligen Kurzformeln des Glaubens geht es um dieses Ganze: als Glaube, zu dem der Christ sich verantwortlich entscheidet; als Bekenntnis dessen, wofür im Ernstfall zu sterben sich lohnt.

Das Profil christlicher Existenz zeigt sich jedoch nicht nur auf dem Gipfel der Krisis. Das Martyrium ist ein Grenzfall, es beschränkt sich auf besondere Umstände; weniger außer-ordentlich, keineswegs aber deshalb weniger ernsthaft stellt sich die Grundform der marturi/a als Bekenntnis dar. Entsprechend bezeichnet christliche Existenz nicht nur die existentiell abgründige Ausnahmesituation, sondern ebenso die Größe des gewöhnlichen Lebens, die Grundform des Gläubigseins, die sich in alltäglichen wie auch in außerordentlicheren Situationen in einem Leben im Glauben bewähren muß.

„Christliche Existenz“ ist somit umfassend auszulegen und als Inbegriff eines „Ganzen“ zu verstehen. Ein Ausgriff auf dieses Ganze ist keineswegs eine vermessene Fiktion. Ein derartiger Ausgriff ereignet sich bereits in allen proprietär menschlichen Akten, in denen es nicht nur um Hypothetisches, sondern um Kategorisches zu tun ist – etwa im Bereich der Ethik oder in der Frage der Wahrheit, worin unbedingte Gültigkeit in Anspruch genommen wird. Stets ist das menschliche Tun eingewoben in seinen apriorischen Kontext, der Horizont bleibt dabei meist implizit und unbewußt. Durch Reflexion aber läßt sich dieser Hintergrund thematisieren und erschließen. Dies kann man sich an einfachen Beispielen verdeutlichen: Daß Sie jetzt diesen Abschnitt lesen und es nicht nicht tun, ist zutreffend und unbedingt gültig. Anschaulicher stellt sich dieser Ausgriff auf das Ganze dar, wenn etwa im Handeln ein unbedingter Anruf erfahren, etwas als unbedingt gesollt vernommen wird. Dabei wird im Urteil des Geistes der Horizont schlechthin mit umfaßt und auf die konkrete Situation appliziert (Endlichkeit, Freiheit).

 

2. „Existenz“ kennzeichnet die besondere Seinsweise des Menschen, die sich vom dinglichen Sein abhebt. Während sich letzteres durch Kategorien bezeichnen läßt, weist menschliches Sein einen anderen Charakter auf, der in den Existentialien als den Grundmerkmalen menschlichen Seins („Seinscharaktere des Daseins“) ausdrücklich zur Sprache kommt. Heidegger bezeichnet als „Existenz“ „das Sein desjenigen Seienden, das offen steht für die Offenheit des Seins, in der es steht, indem es sie aussteht“. Diese Bestimmung zielt auf einen innersten Kern im Menschen. Heidegger spricht hier vom „Dasein“ (als dem Da des Seins), zu dessen Beschreibung andere Grundbestimmungen erforderlich sind als bei der Untersuchung dinglichen Seins: nur der Mensch existiert, das Tier hingegen lebt, die mathematischen Formeln gelten, das Zeug ist zuhanden, die Anschauungen sind vorhanden. Das Dasein des Menschen ist der Ort, an dem gewissermaßen Sein auf Sein hin gelichtet ist (Wahrheit, Bewußtsein, Freiheit). Heidegger spricht von diesem hin-Sein als „Ek-sistenz“, insofern der Mensch in das Sein hinaus gerichtet ist und zugleich im Sein innesteht. Menschliches Sein ist daher nicht vor allem als Substanz nach Maßgabe dinglicher Gegenstände, sondern wohl zutreffender im Sinne des „Vollzugs intentionaler Akte“ (Scheler) zu bedenken. Menschliche Substanz hat einen relationalen Charakter.

An der Wurzel bedeutet dies: „Existenz ist das Selbstsein, das sich zu sich selbst und darin zu der Transzendenz verhält, durch die es sich geschenkt weiß und auf die es sich gründet“ (Jaspers). Existenz ist personal-konkret; sie meint nicht die erst nachträgliche Verwirklichung eines primär Allgemeinen, systemisch Notwendigen, sondern ist zuerst und ursprünglich Ausdruck individuellen Lebens. Die damit verbundene Einmaligkeit und Endgültigkeit macht den Ernst der Situation aus, in der der Mensch sein Leben vollzieht.

Die verbreitete Oberflächlichkeit im Betrieb des Alltags steht hierzu in einem Widerspruch. Statt des menschlichen Selbstvollzugs dominieren mitunter die Gepflogenheiten, die Reize, die Biochemie oder andere Umstände: Etwasse, an denen oder mit deren Hilfe der Mensch sein Leben vollziehen kann, die aber zugleich in der Gefahr stehen, dieses akthaft-personale Leben zu überlagern, das Leben des Menschen zu übernehmen und zu ersticken; Seinsvergessenheit erscheint hier als entarteter Zustand unseres Daseins. Demgegenüber steht die Existenz als unvertretbare „Tat der Freiheit“ (Jaspers) dazu angetan, sein eigenes Leben zu übernehmen und dies aus der Mitte her selbst zu leben. Dabei können insbesondere Grenzerfahrungen wie z.B. Angst oder Tod, Schuld oder Leid die Verfaßtheit der eigenen Existenz ins Bewußtsein heben und eine Grunderfahrung des Seins erschließen.

 

3. Existenz und Horizont erschließen sich dem Bewußtsein nicht nach Art der Gegenstände. Dieses richtet sich ja nicht nur auf Objekte allein, sondern kann vermittels der Reflexion auch die eigene Intentionalität, das Bewußtsein selbst sowie die Existenz als solche in den Blick bekommen. Die besondere Fähigkeit des Geistes erweist sich darin, nicht schon im Objektbezug vollständig aufzugehen. Statt sich nach außen hin zerfließend zu verlieren, ereignet sich ein Dialog: als hinnehmender und hingebender Realbezug, wobei auch dieses Verhältnis noch einmal reflexiv eingeholt werden kann.

Vermittels der Reflexion enthüllt sich im Leben des Menschen ein sich selbst gelichteter Vollzug, in dem Sein auf Sein hin offensteht, auch wenn die Erfahrung von Dunkelheit und Geworfensein die eigene Befindlichkeit zuweilen dominieren. Diese aber sind selbst wiederum nur vermittels der Gelichtetheit als solcher vernehmbar. Die conditio humana läßt sich daher nicht einfachhin nur auf Befindlichkeit oder Vorhandenheit reduzieren. Das Leben des Menschen wird durchsichtig auf sich selbst, auf den anderen, auf den Kontext und Horizont, die untrennbar voneinander alle in diesem Leben aufscheinen und bedeutsam werden und so personales Erleben möglich machen. Den actus humanus zeichnet aus, daß der Mensch sich nicht nur akthaft vollzieht, sondern daß er sich dieser seiner Akthaftigkeit auch gegenwärtig wird. Die Seins- und Grunderfahrung steht für alle offen.

Reflexion ist ein Grundvollzug des menschlichen Geistes. Als solche ist sie nicht an eine wissenschaftliche, theologische oder intellektuelle Bildung gebunden (Weisheit Gottes; Bildung des Herzens). Vielmehr richtet sie sich auf all das, was bedeutsam erscheint. So werden schon die Dinge des Alltags nicht einfachhin durchlebt, sondern mehr oder weniger durchdrungen und verarbeitet. Zuhöchst gilt dies auch für die eigene Existenz als solche. So ist denn das „Was“ christlicher Existenz für einen Christen zentral und bedarf eigens der Reflexion. In diesem reflexiven Bemühen geht es nicht um Stroh und Eitelkeit (vanitas), sondern um eine geistige Einholung der eigenen Lebenswirklichkeit, die reflexive Vergewisserung seiner selbst; es geht um einen Prozeß, der seinerseits wesentlicher Teil dieses Lebens ist.

In alledem prägt der Mensch eine bestimmte Sicht von sich selbst, den Dingen und der Wirklichkeit als solcher aus. Dabei spielen alle Grundaspekte der conditio humana mit hinein. Nur zusammen formen sie ein Gesamtverständnis des Menschen von sich selbst und der Wirklichkeit überhaupt. Eine Weltanschauung auszuprägen bedeutet, die einzelnen Parameter in ihrer konkret-washaften Ausprägung für sich zu applizieren. Dies gilt für den Christen nicht anders als für den nicht-Christen. Für den Gläubigen ergeben sich dabei jedoch modifizierte oder erweiterte Antworten, die eine spezifisch christliche Weltanschauung ausmachen. Gläubigsein bezeichnet ja keine Parallelwirklichkeit neben dem eigenen Menschsein, sondern prägt eine bestimmte so-Gestalt des eigenen Daseins. Es gehört zum Menschen, sich im Verhältnis zur Welt, zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zu Gott zu situieren. Für den Christen ergibt sich dabei ein Entwurf seiner eigenen christlichen Existenz.

Hierin kommen Selbst- und Weltverständnis zum Ausdruck. Diese werden in ihrer jeweiligen Gestalt selbst noch einmal formgebend, wenn es darum geht, das eigene Leben aktiv zu gestalten. Neben der Selbstorientierung dient die eigene Einsicht auch der demonstratio nach außen, um so sich selbst wie auch den anderen gleichsam eine Gebrauchsanweisung für das Erdenleben zu vermitteln. Es geht also um zweierlei: das Wort zu hören und das Gehörte als Verstandenes wiederum auszusagen und weiterzugeben. Dabei geht es nicht nur um eine großartige, theoretische Wahrheit, sondern um existentielle Betroffenheit und höchste Relevanz – es geht um den akthaften Charakter christlicher Existenz.

Dies impliziert, sich das eigene Bekenntnis zu vergegenwärtigen, um den Glauben zu vertiefen, statt die Substanz der Frohen Botschaft durch diverse Entschuldigungen mit Rücksicht auf den Zeitgeist zu verkleiden. Nicht um Eingrenzung des Themas ist es also zu tun, sondern um Synthese – eine Zusammenschau, in der das Ganze im rechten Verhältnis  und nicht etwa nur als Summe eines unvermittelten Vielerlei ansichtig wird. Erst in der Synthese, in der gewonnenen Gesamtsicht, wird christliche Existenz innerlich plausibel – für sich und für andere.

 

4. In alledem trägt das Leben eines jeden Christen seine ganz persönliche Handschrift; seine Existenz ist unvertretbar je-individuell. Insofern wird sich die Ausdrucksform dessen in der konkret-individuellen Lebensgestalt mitunter deutlich unterscheiden. Der Mensch entwirft sich als Person – unter Maßgabe des göttlichen Anrufs – auf ein Ziel hin und entwirft damit mit-schöpferisch die Gestalt seiner eigenen Endgültigkeit. Der Auftrag ist ja gerade der zur Freiheit; somit wäre es eine Verfehlung, diese Freiheit nicht wahrgenommen zu haben. Der Mensch ist berufen, sein Ziel frei zu setzen und die Gestalt seines Lebens zu entwerfen – nicht in der Willkür der Beliebigkeit, sondern als existentielle Antwort auf den schöpferischen Anruf (Berufung).

Trotz dieser personal-individuellen Lebensausprägung läßt sich jedoch durchaus bei aller gebotenen Unschärfe eine Kontur dessen ausmachen, was christliche Existenz meint, bzw. von dem, was sie nicht ist. Es zeigt sich, daß dieses wesentlich akthafte  „Was“ christlicher Existenz kein lebloses Lehr-gebäude, kein es-haftes Depositum bezeichnet. Noch bevor sie Lehre ist, ist die Frohbotschaft der Kirche ein Ereignis.

 

5. Christliche Existenz erfordert demnach, die eigene Lebenswirklichkeit ganz von dieser Mitte her zu vollziehen: sich und die ganze Wirklichkeit von dieser Mitte her zu verstehen, sich ganz darauf auszurichten und das Leben von hier aus entschieden zu gestalten. Dazu ist es erforderlich, immer wieder neu ausreichenden Schwung aufzunehmen, sich stets aufs neue betreffen zu lassen, keinen Gewöhnungs- oder Verflachungseffekten zu erliegen, sondern die Freude und die Kraft des Glaubens lebendig zu erhalten.

Perspektive und Orientierung bietet dabei das Ziel der Heiligkeit, zu der alle berufen sind. Dies ist die Heiligkeit, die von Gott selbst kommt und in der sich die unüberholbare Abkünftigkeit des Geschöpfs von seinem Schöpfer spiegelt. Seine Heiligkeit ist Grund und Ziel unseres eigenen Lebens, ohne dabei den kreatürlichen Abstand jemals hinter sich zu lassen. Dieser ist nicht zu überwinden, sondern kennzeichnet die Grundform kreatürlichen Seins. So gilt es, im Maß des eigenen Voranschreitens auf dem Weg der Heiligkeit zugleich den je größeren Abstand zum Heiligen zu erkennen und eine angemessene Antwort zu finden. Es kommt darauf an, Initiative zu ergreifen, aktiv zu werden, das Angebot nicht verstreichen zu lassen und der Berufung zu folgen.

Eine derartige Lebensform fordert eine Radikalität ohne falsche Rücksichten oder Kompromisse, die sich aus der Entschiedenheit ergibt und die dem Charakter des irdischen Pilgerwegs Rechnung trägt. Als unvertretbar meine Antwort besitzt die unvertretbar-eigene Lebensgestalt eine Originalität, die keiner allzu starken Ausrichtung an konventionellen Formen, an gesellschaftlichen Strukturen oder der (bürgerlichen) Lebensweise der sogenannten Gläubigen bedarf. In der Tat haben sich zahlreiche Heilige in den Augen der Welt zu Narren um Christi willen gemacht.

Christliche Existenz bezeichnet das Grundmotiv – als Inbegriff und Kulminationspunkt – für die Gestaltung und die Deutung der eigenen Lebensgeschichte auf dem Weg hin zu Gott. Dies gilt es in den Blick zu nehmen und tiefer auszuprägen.

 




 

II. Kreatürlichkeit

 

1. Die Wirklichkeit ist nicht selbstverständlich. Ihre innere Konstitution weist den Charakter des Kontingenten auf. Kontingent heißt das, was nicht notwendigerweise existiert: das, was zwar tatsächlich ist, aber eben durchaus auch nicht sein könnte; oder umgekehrt: das, was vielleicht gerade nicht der Fall ist, aber durchaus sein könnte.

Das Merkmal der Kontingenz trifft im Vollsinn auf den Menschen zu. Seine Endlichkeit wird mitunter an seiner Zeithaftigkeit deutlich. Befruchtung und Tod markieren eine unausweichliche zeitliche Grenze von Beginn und Ende. In der Zwischenzeit unterliegt der Mensch der Veränderung, zu einem jeweiligen Zeitpunkt konkret-so und im nächsten Moment schon wieder anders zu sein. Dabei ist offenkundig, daß der Mensch nicht alles zugleich wählen, sondern stets nur ein begrenzter Jemand sein kann. Permanent legt er sich auf bestimmte Möglichkeiten fest. Dabei verwirklicht er sich, schließt darin aber zugleich jeweils alle anderen Möglichkeiten aus.

Gleiches trifft auf die Welt als ganze zu. Die Kontingenz der Wirklichkeit als solcher zeigt sich nicht nur an der kosmologischen Tatsache, daß auch das Universum einen Anfang hat (Standardmodell). Sie zeigt sich (anthropologisch gewendet) mithin am Staunen darüber, daß es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts, woran sich die Fraglichkeit der Wirklichkeit manifestiert. Vollends deutlich wird die Kontingenz in der Seinserfahrung: In der Erfahrung der Kontingenz als Charakteristikum von schlechthin allem, dem Sein zukommt.

Der Mensch verfügt über eine gegenständliche Objekterkenntnis, in der er welthaftes, konkretes Seiendes (to/de ti; dieses und jenes) unmittelbar vernimmt. Diese Erfahrung ist anschaulich, d.h. sinnlich oder sinnlich vermittelt, mehr gegenständlich oder mehr abstrakt. Dabei kann sich die Intentionalität direkt auf ein von ihm verschiedenes Seiendes oder auch reflex auf ihn selbst richten. Ohnehin ist die Fremderfahrung mit der Selbsterfahrung verflochten. In jedem Urteil, mit dem ein Erkenntnisakt zum Abschluß kommt und worin die eigentliche Erkenntnis konstituiert wird, setzt der Mensch ein „ist“. Dabei handelt es sich um ein ursprüngliches Spontanurteil, das nicht erst nachträglich oder aus abstrakten Begriffen konstruiert wird. In diesem Urteil und dem darin liegenden, impliziten Ausgriff übersteigt der Mensch die Ebene der gegenständlichen Erkenntnis und dringt mehr oder weniger ausdrücklich zum Seienden als Seienden vor (ontische Erfahrung). Dabei trifft er das Seiende darin, worin es ein Seiendes ist: im Sein (ontologische Erfahrung als Tiefenschicht der ontischen Erfahrung). Der menschliche Geist ist auf das Sein hingeordnet und ihm unausweichlich ausgesetzt.

Ist das Sein in der Objekterkenntnis zunächst nur unausdrücklich, athematisch mitgewußt, kann man doch durch die reflexive Thematisierung des Seins zu einer ausdrücklichen, begrifflichen Erfahrung des Seins voranschreiten. Dies geschieht mittelbar durch Kausalschluß. Das Sein läßt sich aber auch dann nicht vom Seienden lösen, sondern bleibt an dieses rückgebunden. Das Sein wird dabei nur insoweit und als solches erfahren, insofern es auf das jeweilige konkrete Einzelseiende bezogen bleibt. Seinserfahrung besteht stets als eine mitgegebene; sie unterstützt keine direkte Anschauung. Das Seiende wird im Vordergrund-Bewußtsein ge-wußt; das Sein wird im Hintergrund-Bewußtsein be-wußt (Lotz). Sein läßt sich nicht durch Abstraktion aus dem Seienden herausheben und trennen. „Sein“ bleibt stets konkret, indem es nicht außerhalb des Seienden gegeben ist. Die akthafte Wirklichkeit des Seins wird daher niemals im Begriff voll erfaßt, sondern erst im Vollzug voll ausgeprägt. Das Sein kommt nicht neben den Dingen oder neben den Personen zur Erscheinung, sondern ist jeweils so-seiend in den Dingen verwirklicht gegeben, insofern diese allein durch das Sein als Seiende konstituiert sind. Das Sein ist kein Seiendes neben anderen (ontologische Differenz).

Das Sein übersteigt jedoch die Begrenztheit der einzelnen Seienden, in deren Verwirklichung es sich nicht erschöpft. In der konkreten Seinserfahrung zeigt sich das Sein gerade in seiner Fülle und nicht etwa als der leerste Begriff, den eine rein sprachanalytische Sicht ausgehend vom Hilfsverb „sein“ vordergründig glauben machen möchte. Dabei wird eine Grundeigenschaft des Seins mit ansichtig, die als Verweischarakter des Seins auf seinen eigenen Grund (Seinsgrund) zu deuten ist. Angesichts der Erfahrung des unbedingt-Notwendigen scheint die Kontingenz der Wirklichkeit in voller Schärfe auf.

Die Wirklichkeit existiert nicht kraft ihrer selbst. Ihre kontingente, endliche Konstitution impliziert, daß sie nicht aus sich selbst ist: nicht durch ein einzelnes und nicht durch das Ganze. Denn auch die Menge der Kontingenten zählt selbst zum Kontingenten und fällt damit unter sich selbst (Russel). Die Wirklichkeit steht also nicht in sich, sondern bedarf dafür, daß sie ist, eines anderen als das, was sie selbst ist. Sie bedarf des nicht-Kontingenten, des nicht-Endlichen, um selbst überhaupt sein zu können. Der Welt kann ihr Sein sozusagen nur von „außen“ zufallen. Indem somit Grund und Maß für alles, was ist, jenseits der Kreatur begründet liegt, steht das Geschaffene gewissermaßen bodenlos in eine unbegrenzte Verfügbarkeit auf seinen Seinsgrund hin. Die Wirklichkeit ist gleichsam „nichts vor dem Schöpfer aus dem Nichts“.

 

2. Der Seinsgrund, der Ermöglichungsgrund für das Faktum, daß überhaupt etwas ist, er allein ist notwendige und hinreichende Bedingung für Wirklichkeit, er ist das, was alle Gott nennen (Thomas). Der Streitpunkt zwischen Theisten und Atheisten besteht so auch eher in der Frage, was dieses Absolute ist, und weniger darin, ob es überhaupt sinnvollerweise angenommen werden kann.

Von dieser erreichten Warte aus will die Sprache nun die umgekehrte Perspektive einnehmen. Statt nur vom Standpunkt der Wirklichkeit aus überstieglich auf ihren Grund zu verweisen, statt nur implikativ oder postulativ von Gott zu sprechen, statt also nur von der Welt zu reden, die nicht in sich steht, sondern dafür, daß sie ist, eines anderen als ihrer selbst bedarf, neigt die menschliche Sprache zu einer indikativen, direkten Aussageweise; sie vereinfacht das Sprachspiel und spricht auf der einmal erreichten Basis – recht gegenständlich – einfachhin von „Gott“ und „Schöpfung“. Die überstiegliche Herkunft dieser Begriffe bleibt in ihnen jedoch unüberholbar, dauerhaft präsent.

Der Gründungsbezug eröffnet einen Anfangsbegriff von Gott als dem Absoluten, das bedingungslos in sich steht (Aseität). Obwohl dieser Anfangsbegriff in Abgrenzung, gleichsam in Negation zur Welt gefaßt wird (nicht-kontingent, nicht-endlich), bezeichnet er jedoch kein ihr gegenüber zu stellendes oder gar gegenteiliges Prinzip. Prinzip dieser Welt ist Gott vielmehr in dem Sinn, daß er (positiv) Seinsgrund für die Wirklichkeit schlechthin ist. Als Seinsgrund ist er jedoch Erstgrund, Erstursache dafür, daß es überhaupt eine Wirklichkeit gibt. Dies aber meint Schöpfung im radikalen Wortsinn: Schöpfung aus nichts, creatio entis qua entis, Mitteilung von Sein, Setzung von Wirklichkeit als solcher.

Schöpfung meint also keineswegs ein bloß demiurgisches Formen im Ausgang von etwas, was es bereits gibt (Platon); Schöpfung ist keine Äquivalenzumformung im Bereich eines „ist“, welches schon irgendwie vorgängig existieren würde; der Energieerhaltungssatz gilt „innerhalb“ der Wirklichkeit, für das abgeschlossene System des bereits bestehenden Universums. „Schöpfung aus nichts“ bedeutet tatsächlich „aus nichts“: kein subtiles nichts, beinahe-nichts, quasi-nichts, so-gut-wie-nichts oder irgendein amorphes Chaos. Weder Energie, Material noch Raum-Zeit stehen in sich, nichts ist vorgegeben: kein Substrat, keine allem zugrunde liegende (vielleicht gar göttliche) Substanz, auch kein Ereignis-Raum dessen, was „an sich“ möglich wäre und auf dessen Grenzen das Ereignis der Schöpfung eingeschränkt wäre. Die Wirklichkeit als solche ist kreatürlich. Creatio ex nihilo bedeutet insofern den seinszumessenden Akt auch des ersten Anfangs, dem keine Wirklichkeit oder Möglichkeit einschränkend entgegensteht.

Gerade insofern kreatürliche Wirklichkeit nichts aus sich selbst ist, ist dem schöpferischen Geben keine Grenze gesetzt. Die Wirklichkeit ist somit „ganz von Gott her“ – ohne jede Einschränkung. Im unüberholbaren Apriori Gottes gründet die grundsätzliche Asymmetrie des Gott-geschöpflichen Verhältnisses. Insofern die Welt ganz und gar in Gott als ihrem Grund gründet, insofern das Begründende das Begründete völlig umgreift, erweist sich das Gott-Welt-Verhältnis als ursprüngliche, ungegenständliche und transzendentale, nicht als äußerliche, nachträgliche, kategoriale Relation. Schöpfung bedeutet dabei nicht nur das ins Sein Setzen des ersten Anfangs. Die gute Gabe ist bleibend seine Schöpfung, die er in Treue erhält (creatio originans, creatio continua, creatio evolutiva). Die Wirklichkeit ist durch Gott, in Relation zu ihm und als Relation zu ihm konstituiert, nicht nur im Hinblick auf einen empirisch mehr oder weniger faßbaren kosmologischen bzw. evolutiven Anfang, sondern als stetiger Bezug des Menschen auf den transzendenten Ursprung seiner Wirklichkeit. Schöpfung ist ein grundlegend theologisches Konzept.

Gott ist nicht die Seele der Welt – sie ist nicht sein Leib. Das Verhältnis läßt sich charakterisieren als dialogisches Gegenüber statt dinglicher Identität. Schöpfung folgt nicht logisch oder notwendig aus dem Wesen Gottes. Dabei ist sie kein Ausfluß aus Gott, kein Überströmen, keine Emanation Gottes (Plotin) in eine dadurch entstehende Wirklichkeit hinein. Der seinszumessende Akt der Schöpfung ist vielmehr das souveräne, freie Werk dessen, der die Wirklichkeit sein läßt. Gott setzt die Welt ins eigene (Unterschied, Eigenstand, Freiheit). Er gibt nicht unter Vorbehalt. Er läßt sie sein, gibt sie frei. Geschöpflichkeit, Endlichkeit bedeutet somit nicht Entfremdung oder Gottferne, als wenn das Uneigentliche vom Eigentlichen ausgegangen oder abgefallen wäre. Geschaffene Wirklichkeit ist keine Mangelware. Die Wirklichkeit hat einen Eigenstand und eine ihr eigene Vollkommenheit; ihre Wirklichkeit bleibt aber unüberholbar eine von Gott ermöglichte; ihre Substanz ist geschaffene Substanz, ihr Sein geschaffenes Sein: ermöglichtes Selbstsein.

Gott hat die Welt aus nichts erschaffen. Die Welt ist ins nichts gestellt; sie grenzt daher an nichts außer an sich selbst. Insofern steht sie als begründete in sich, sich selbst – und so insbesondere dem Menschen – übergeben. Ganz von Gott her ist die Wirklichkeit als Gottes freie Gabe.

Zwischen Gott und Welt waltet kein dingliches Kontinuum, kein substantiales Identitätsmoment. Gott ist also nicht ein Teil dieser Wirklichkeit, sondern ontologisch vorgängig zu aller Wirklichkeit. Gott ist somit kein Seiendes neben anderen, der Seins-Grund ist kein dieses-da mit einer Grenze zu den Seienden oder zu dem Sein als ganzem. Gott ist kein Datum (Splett). Insofern kann man eigentlich nicht sagen, daß es ihn gibt, vielmehr ist zu sagen, daß er gibt, d.h. daß er gibt, daß es etwas gibt und daß es so etwas wie „gibt“ gibt. Das Verhältnis von Gott und Wirklichkeit ist daher nicht konkurrierend, sondern seinsabgründig, asymmetrisch zu denken. Die asymmetrische, seinsabgründige Beziehung im radikalen Gründungsverhältnis widerspricht jeder theopositivistischen Auffassung des Gott-Welt-Verhältnisses, als ob sich dieses erst innerhalb einer apriorisch gegebenen Wirklichkeit, entlang eines übergeordneten Koordinatensystems entfalten würde. Zwischen Seiendem/Sein und Seins-Grund waltet kein übergeordneter, gemeinsamer Maßstab (Inkommensurabilität). Gott ist das „Andere zur Welt“ nur in dem Sinne, daß er gerade nicht ein anderes (non-aliud) ist (Nikolaus von Kues).

Gottes Transzendenz erweist sich, indem er als Seins-Grund gerade nicht ein Teil der Wirklichkeit ist. Indem jedoch nichts eine Grenze zu ihm hat, ist er einem jeden zugleich unmittelbarer als man sich selbst nur sein kann, er ist allem auf das Innerlichste präsent: interior intimo meo (Augustinus). Das Verhältnis läßt sich charakterisieren als das der Trans-Immanenz, eines unmittelbaren Gegenübers von Du zu Du gewissermaßen über den Seinsabgrund hinweg.

Zugleich aber verweist die Wirklichkeit auf das Wesen ihres Schöpfers, insofern sie ja „seine“ Schöpfung ist. So waltet eine gewisse Gemäßheit zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung (Urbild, Abbild, Exemplarität), die jedoch nur bedingt als Ähnlichkeit verstanden werden kann (maior dissimilitudo). Diese Abbildlichkeit nennt die Tradition „das Sein“, in dem die Einheit der Wirklichkeit besteht, und sieht hierin das erste und höchste Gleichnis des Schöpfers (Siewerth). In der Schöpfung manifestiert sich so die ursprüngliche Selbstoffenbarung Gottes. Das Werk offenbart die Handschrift des Schöpfers, gleichsam seinen Stil. Die Schöpfung ist die Sprache Gottes – eine Art ontologische Sprache, die wir in kosmologischen, philosophischen oder lebensweltlichen, erfahrungsbezogenen Dialekten vernehmen können.

 

3. Die Wirklichkeit, wie wir sie vorfinden, ist konkret statt nur begrifflich-spekulativ. „Sein“ ist mannigfaltig verwirklicht in den einzelnen Seienden und Seinsstrukturen, entlang den dynamischen Prozessen des Werdens. Diese Konkretheit manisfestiert sich etwa in den Ausmaßen und der verschwenderischen Vielfalt des Universums, seiner Entfaltung, der expandierenden Raum-Zeit oder dem Prozessieren der Materie. Der Mensch existiert nicht etwa irgendwo, sondern an einem in zeitlicher und lokaler Hinsicht durchaus bevorzugten Ort im Universum.

Dies bietet im Maßstab von Jahrmilliarden Voraussetzungen für die Entstehung von Leben, welches ohne die erstaunliche Feinabstimmung im Universum überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Der durch Selbstorganisation bewirkte hohe Ordnungsgrad von Lebewesen (Makromoleküle, organisches System) widerstrebt dem thermodynamischen Gleichgewicht (Entropie). So etwas wie Leben sollte also rein physikalisch betrachtet eigentlich gar nicht entstanden sein. Um so schwerer fällt es, die Entstehung höherer Lebensformen allein auf evolutive ex post- und bottom up- Mechanismen wie Rekombination, Mutation und Selektion zurückzuführen. Die noch verbreitete Annahme einer ausschließlich auf Zufallsprozessen basierenden, rein wirkursächlichen Aufaggregierung von spezifischer Komplexität bis hin zu höheren Lebensformen erscheint unvernünftig. Der Mensch erscheint nicht nur als zufälliges Produkt des Universums, sondern geradezu als dessen Ziel (anthropisches Prinzip). „Das Weltall ist uns so unwahrscheinlich günstig gesinnt, daß es geplant zu sein scheint“ (A. Tammann).

Aus der Menge der Lebewesen ganz unterschiedlicher Eigenart und Komplexität hebt sich der Mensch ab. Seine Geistigkeit beläßt ihn nicht in einer unbewußten Unmittelbarkeit zu seiner Mitwelt, in der er keineswegs aufgeht. Stattdessen hebt er sich in der Grunderfahrung des „ich“ von seinem Kontext ab, die ihn auf sich selbst zurückverweist und ihn sich von allem nicht-Ich unterscheiden läßt. Auf dieses Andere ist er freilich umfassend bezogen, setzt unterscheidend dieses Andere aber als Gegenüber von sich selbst ab und objektiviert es in seinem Bewußtsein als Gegenstand oder Gegenüber. Diese Gegenstände dinglicher oder undinglicher Art, auf die ein Mensch intentional bezogen ist, bilden stets den thematischen Inhalt seiner bewußten Akte. Die durchtragende Einheit des Bewußtseins in dieser äußeren Mannigfaltigkeit weist aber hinter aller empirischer Ich-Erfahrung auf das „Ich“ als Einheitsprinzip, das sich im Vollzug der diversen Akte durchhält und einer Einheit des Bewußtseins zugrunde liegt. Dieses ist nicht gegenständlich direkt zugänglich, sondern wird in den einzelnen Akten mit-erfahren und erst in der Reflexion direkt bewußt.

Dieses transzendentale Ich legt sich als Ich-Grund im geistig-personalen Selbstvollzug des Menschen in-über den physiologischen Prozessen entlang der unterschiedlichen Aspekte aus, die dem Menschen als Grunderfahrung prinzipiell zugänglich sind. So steht der Mensch in einem geistigen Seinsbezug sinnenhafter Erkenntnis, die als im Bewußtsein erfahren und verstanden, im schlußfolgernden Denken auch abstrakt begrifflich verarbeitet und im Urteil vollends (abschließend) konstituiert wird. Im ist-Sagen verortet der Mensch das Erkannte im Gesamtzusammenhang des Seins, indem er es als wahr und gültig behauptet und dabei auf das Sein als dessen Horizont insgesamt mit ausgreift. Dieser erkenntnishafte Seinsbezug des Menschen vollzieht sich in einer Disposition innerer Freiheit, die ihn in den Zustand des sich-Verhaltens und Entscheidens „angesichts von“ versetzt, ihn also nicht von seiner Umwelt determiniert in dieser gleichsam aufgehen läßt. Dabei ist das sich-Verhalten in der Entscheidung nicht ins Belieben gestellt, sondern steht in den Zusammenhängen und Anforderungen des Seinskontextes – im Anruf des Guten, im Aufscheinen der Werte, im Anspruch des Gesollten – die dem Akt des Menschen den Charakter der Sittlichkeit verleihen. In alledem steht der Mensch in vielfältigem Bezug zu seiner Welt: in den unterschiedlichen Strukturen interpersonaler Bezüge zu seinen näheren und ferneren Mitmenschen, im Kontext einer Geschichte, an der er selbst als Beteiligter ein Stück mitschreibt, im Sinn-Abgrund von alledem, der sich ihm erschließt und ihn auf die Trans-Immanenz Gottes hin sensibilisiert. So läßt sich der Mensch als Verhältnis bestimmen, das sich zu sich selbst verhält und, indem es sich zu sich selbst verhält, sich zu anderen verhält (Kierkegaard).

Die Personwirklichkeit umfaßt mehrere Dimensionen: Grundgrößen, die sich nicht aufeinander zurückführen oder gegeneinander aufrechnen lassen. Hierauf beruht Pascals Annahme von den drei Ordnungen: Der Kosmos sei wie nichts im Vergleich zu einem einzigen Bewußtseinsakt, und alle Bewußtseinsinhalte zusammen seien wie nichts im Vergleich zu einem Vollzug wahrer Liebe. Dabei geht es nicht darum, den Wert einzelner Bereiche der Wirklichkeit herabzusetzen oder gegeneinander aufzurechnen, sondern die Eigenartigkeit (Proprietät) der einzelnen Grundgrößen, ihre Unrückführbarkeit aufeinander und ihre Nichtreduzierbarkeit deutlich zu machen.

Ein dreidimensionaler Raum erscheint hinsichtlich seiner Räumlichkeit von der Perspektive einer zweidimensionalen Fläche aus „wie nichts“. In der „Welt“ der Fläche ist Räumlichkeit ja nicht definierbar.

Individualität und Substantialität des Menschen kennzeichnen sein unvertretbares Selbstsein, das er in Bewußtsein und freier Selbsthabe vollzieht. Geist vollzieht sich in Leib, Leib verwirklicht sich in Welt. Im menschlichen Grundakt vollzieht sich eine Selbstüberbietung (Emergenz) über das Materielle hinaus (Leib-Geist-Natur) sowie über sich selbst hinaus (Liebe) und begründet ein im-Akt-Sein des Menschen (Personalität, Freiheit, Sittlichkeit), in dem Selbstverfügung, Anfangskraft Freiheit und Entelechie (Heidegger: „Dasein existiert umwillen seiner“) begründet liegen. Dieses transzendentale im-Akt-Sein kommt in den einzelnen akthaften Vollzügen zum Ausdruck. Auch umgekehrt kann der Mensch seinen eigenen transzendentalen Personkern nur über die kategorialen Vollzugswirklichkeiten reflexiv erreichen. Das transzendentale Ich als ontologischer Personkern bleibt auch für den Menschen selbst im Verborgenen und nur reflexiv und auf dem Weg welthafter Vermittlung erreichbar. Der Horizont verläuft daher nicht weit draußen in der Ferne, sondern mitten durch uns selbst.

Der Anfang entzieht sich; ein grenzwertiger Anfangs- oder Übergabepunkt läßt sich nicht bestimmen. Wenn aber endlich-kontingente Freiheit nicht letztlich aus sich selbst hinreichend begründet ist, kann sie nur aus Allmacht her sein, da alles andere die Freiheit aufheben würde. So ist das im-Akt-Sein des Menschen nicht einfachhin immanent emergent, sondern dialogisch zu bestimmen: als akthafte Vollzugseinheit schöpferischen Anrufs und kreatürlicher Antwort.

In der konstitutiven Gottesbeziehung liegt der Grund-Ort des Menschen als Gegenüber Gottes. Sein Substanz-Sein ist der dynamisch-dialogische Vollzug der Verhältnis-Schwebe „von Gott her“ – „auf Gott hin“. Das Geheimnis des Menschen gründet im Geheimnis Gottes und bleibt dem Zugriff letztlich entzogen. Das Wesen des Menschen ist das einer angefangen-anfangenden, gerufenen Freiheit, vermittelt im welthaften Geschehen. Der Dialog ist freilich „seinsabgründig“ – denn Gott als Seins-Grund ist ja kein Seiendes. Der Dialog erweist sich als das Entsprechungsverhältnis in der Beziehung gegenseitigen Andersseins (Analogie).

In diesem Dialog erweist sich der Mensch als Gegenüber Gottes, Partner und Adressat (Gottfähigkeit des Menschen, potentia oboedentialis). Die Gottebenbildlichkeit seines Personseins deutet jedoch nicht hin auf eine Ähnlichkeit zu Gott im Sinnes eines Spiegelbildes. Die kreatürliche Antwort auf den Schöpfungsanruf entspricht diesem, statt ihm nur wie ein Echo ähnlich zu sein oder mit abnehmender Intensität nachzuhallen. Der schöpferische Anruf fordert die Antwort des Geschaffenen. Daher ist das Schöpfungsverhältnis zugleich als Freiheitsverhältnis zu bestimmen: kreatürliche Freiheit steht im Anruf des Schöpfers (Sollen), dem sie im Maß ihres Hörens
ant-wortet (Freiheit), darin sich selbst vollzieht (Akt) und so die eigene Gestalt verwirklicht (Leben, Werden, Geschichte). Das Geschöpf ist in einen Dialog mit Gott gestellt und zur Antwort berufen.

Der Schöpfung durch Gott entspricht die Existenz des Menschen vor Gott. Die Situation des Menschen ist zuinnerst ein mit-Sein mit Gott. Die Dynamik auf Gott hin bewirkt ein „unruhiges Herz“ (Augustinus). Das ontologische Verhältnis zu Gott lädt dazu ein, sich zu Gott auch bewußt, willentlich und aktiv zu verhalten. Schließlich ist der Mensch nicht dazu verdammt zu sein – er soll und darf es. Die Berufung des Menschen ist die zur Antwort. Die Liebes- und Lebensgemeinschaft mit Gott ist die Ur- und Grundform menschlicher Existenz.

 

4. Der Zugang der Schöpfung zu Gott bleibt unüberholbar kreatürlich. Dem entspricht die transzendentale Grundstruktur der Gottesbeweise. Sie setzen darauf auf, daß die Welt nicht in sich geschlossen ist, für sich allein nicht zu Ende gedacht werden kann, nicht in sich beruht, sondern als Bedingung ihrer eigenen Möglichkeit einen Grund ihres eigenen Seins voraussetzt. Der Weg dieser Aufweise Gottes ist der modus tollens: wenn nicht Gott, dann auch nicht Welt; nun aber Welt, also Gott. Hierin kommt der Verweischarakter des Seins zum Ausdruck: das Seiende verweist auf den Seins-Grund als das Andere seiner. Die menschliche Selbsttranszendenz ist offen bis auf Gott hin; dieser Ausgriff – unter Annahme eines erfahrenen Sinn-Zusammenhangs – kann nicht ins leere zielen. Mensch und Natur haben Geheimnisse, die auf Gott verweisen. Die Wirklichkeit trägt Kreatürlichkeit als phänomenales Merkmal an sich (Scheler); hierin erschließt sich die erste Offenbarung Gottes. Die „schöpfungsorientierte Grundstruktur“ ist durchgängiges und bleibendes Gestaltprinzip auch der Glaubenswirklichkeit (Scheffczyk).

Gott ist nicht Objekt gegenständlicher Erkenntnis. Was erscheint, ist das unselbstverständliche Gegebensein des „ist“ in seiner Kontingenz; hierin wird Gott als Seins- und Sinngrund der Welt mit-erfahrbar. Erfahrung bedeutet unmittelbar hinnehmenden Realbezug (Ogiermann). Dabei wird aber immer nur etwas bereits als etwas erfahren; es gibt keine Erfahrung, die nicht schon reflektiert ist, keine Erfahrung ohne zumindest implizite Reflexion, keine Erfahrung ohne Miterfahrung. Welthafte Erfahrung und Reflexion sind bei aller notwendigen Unterscheidung voneinander untrennbar. Dabei bedeutet vor-rationale nicht zugleich auch irrationale Erfahrung. Die transzendentale Miterfahrung ist überstieglich, nicht gegenständlich, weil sie auf Bedingungen geht, die sich erst in reflektiertem Rück-Überstieg erschließen. Das unthematisch Miterfahrene läßt sich jedoch im Modus der Reflexion thematisieren und ausdrücklich machen. Wie im Kunstwerk läßt sich auch im Antlitz der Welt die ihm eingeborgene Tiefenschicht erblicken (Weischedel).

Gott zu erfahren bedeutet also: in den Seienden das Sein und am Sein den Verweischarakter auf Gott zu vernehmen und so Gott zu erfahren.

Im Bild: Das Licht läßt die Dinge sichtbar werden, ohne selbst sichtbar zu sein. Erst in einem zweiten (reflexen) Schritt erkennt man an den beleuchteten Dingen das Licht. Insofern ist Gottes unsichtbares Wesen deutlich zu sehen (Röm 1,19) – freilich als bleibend unsichtbar. Gott erscheint in dieser Hinsicht als verborgener Gott (Deus absconditus). Diese Facette dominiert in der Erfahrung der dunklen Nacht.

Durchklärung von Gotteserfahrung ist das Anliegen philosophisch-theologischer Gotteslehre, wobei sie sich vom deduktiv-nomologischen wie auch vom induktiv-statistischen Wissenschaftsbetrieb unterscheidet. Dabei kann man, indem man sich denkend-reflektierend vor Gott verhält, niemals aufhören, sich zu ihm als Gott zu verhalten (Brunner). Man  kann nicht Theologe sein, wenn man nicht selbst den Weg beschreitet, der zu Gott führt (Lossky). Eine Entgegensetzung des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs (Pascal) auf der einen Seite und des Gottes der Philosophen auf der anderen erscheint vordergründig. Gottesaufweise setzen auf Grunderfahrung auf, machen innerlich plausibel und begründen nach außen die Rationalität des Glaubens an Gott. Aufweise dienen mehr als Hinweise, die zeigen und sichtbar machen („demonstrare“), statt eine objekthafte logisch zwingende Schlußfolgerung (Beweis) zu liefern. Russels Einwand gegen das kosmologische Argument – wenn alles eine Ursache hat, dann muß auch Gott eine Ursache haben – geht an der kreatürlichen Seinserfahrung vorbei, die um ihre eigene Kontingenz als in Gott gründend und dabei um die „grundeloseheit gotes“ (Meister Eckhart) weiß.

Gott ist kein Demonstrationsobjekt oder Beweisgegenstand. Er kann nur unvertretbar erfahren werden, so wie man auch Sinn nur selbst erfahren kann, statt ihn als formallogische Konsequenz zu deduzieren. Man muß ihn erfahren, statt nur etwas über ihn zu erfahren. „Gott“ ist insofern weniger ein Begriff als vielmehr Name für eine Epiphanie. Die Gottesbeweise und –aufweise können daher den Glauben nicht direkt bewirken; allerdings können sie einen Zugang zu Gott vermitteln, indem sie reflektierend ausführen und so Andere an dem teilhaben lassen, was sich einem selbst gezeigt hat.

Der sprachliche Ausdruck dessen, Theo-logie, kann „in Welt“ nicht anders als eben kreatürlich verfaßt sein. Auch die transzendentale Differenz läßt sich nicht anders als gegenständlich-konkret formulieren. So ist nach außen der Anschein kaum zu vermeiden, es handle sich um ein „aliud“ oder um eine „Schicht“ oder „Sphäre“ höherer Ordnung. Ein solches zwei-Stockwerk-Denken widerspricht aber dem Wesen des Gründungszusammenhangs als Grundbestimmung des Gott-Welt-Verhältnisses. Die Anstrengung seinsabgründiger Metaphysik zu vermeiden, steht in der Gefahr, anthropomorphe Gottesvorstellungen zu nähren sowie deistische oder pantheistische Interpretationen zu begünstigen.

In aller Aussage bleibt ein „Rest, der nicht aufgeht“ (Przywara). Wenn Gott wesentlich unaussagbar ist (Plotin), dann stolpern Denken und Sprache über die Grenze ihrer begrifflichen Möglichkeiten, dann läßt sich im Sinne einer wahren Aussage ganzrational eher sagen, was er nicht ist (negative Theologie) als was er ist. Zwar bleibt diese Art der Rede ein wichtiges Korrektiv, sie allein kann aber denjenigen nicht befriedigen, der seine Reflexionen auf Grunderfahrung – für sich und für andere – artikulieren möchte. Zum Definitionsbereich positiv-theologaler Rede gehört es jedoch, immer auch um das damit einhergehende Ungenügen zu wissen.

Reden von Gott und Reden vom Menschen sind im Vollzug nicht zu trennen: Im menschlichen Sprechen von Gott spricht sich das Gottes-, Menschen- und Weltbild mit aus. Der Mensch kann nur in seiner Sprache, somit gewissermaßen nur menschlich von Gott sprechen. Dies bedeutet aber keineswegs, daß er dabei ausschließlich vom Menschen und überhaupt nicht von Gott spricht. Denn auf der anderen Seite übersteigt der Mensch in der Rede von sich und seinesgleichen den nur kontingenten Bereich der Wirklichkeit und spricht dabei immer schon wenigstens implizit auch von Gott: etwa wenn es um Kategorisches (unbedingter Wert, Sollen, Wahrheit) geht. Reden von Gott und Reden vom Menschen sind im Vollzug nicht zu trennen, sehr wohl aber zu unterscheiden. So erscheinen auch qeo/v und a)/nqrwpov, Theologie und Anthropologie nicht als Alternative, sondern als „Grundkoordinaten einer umfassenden Stellungnahme im Denken“, die sich als „Anthropo-Theologie“ (Splett) darstellt.

Die Nähe von Anthropologie und Theologie rückt die Personalität Gottes in den Blick. Angesichts der Erfahrung des Menschen als Person ist „Seins-Grund“ auch als „Geist-Grund“ und „Freiheits-Grund“ zu verstehen. Im dynamisch-dialogischen Vollzug der Verhältnis-Schwebe „von Gott her“ – „auf Gott hin“ gründet das Geheimnis menschlicher Substanz als akthafter Vollzugseinheit schöpferischen Anrufs und kreatürlicher Antwort. Wenn sich der Mensch – welthaft vermittelt – im Anruf Gottes und als sein Gegenüber erfährt, wenn er sich ausgehend von der Auslegung seiner Gewissenserfahrung als gerufene Freiheit versteht, kann das Absolute als Grund dieses Anrufs nicht neutral-begrifflich-ideal, nicht a-personal sein. Gott ist jemand; jemand, in dessen heiligem Geheimnis die Möglichkeitsbedingung für die Schöpfung einer von ihm verschiedenen Wirklichkeit bis hin zur Schöpfung von freien Personen begründet ist. Gott ist jemand, der in seiner Freiheit und Freigebigkeit die Wirklichkeit geschaffen und den Menschen gerufen hat. Gott ist jemand, der den Menschen zum Gegenüber, zum Dialogpartner und zur Antwort berufen hat.

Die Geschichte von Gott und Mensch ist die Geschichte eines lebendigen Freiheitsverhältnisses. Die Gott-menschliche Dialogik verbleibt somit nicht auf der Ebene einer transzendentalen, seinsbegründenden, ontologischen Relation. Gott selbst übersteigt diese Ordnung und entfaltet den Dialog in eine kategorial-explizite Perspektive.


 

 


 

III. Die große oi)konomi/a

 

1. Das kreatürlich-seinsabgründige Verhältnis markiert ein Grunddatum Gott-geschöpflicher Relation: als Verhältnis zwischen Seiendem und seinem Seins-Grund. Eine neue Perspektive erreicht das Verhältnis von Gott und Mensch mit dem Handeln Gottes in der Welt. Das Alte Testament bezeugt bereits die Erfahrung der Freiheit Gottes aus der Erfahrung seines geschichtlichen Handelns im Bund mit seinem Volk. Gott hat seinen Namen offenbart (Gen 2,4b [J]; Ex 3,14 [E]; Ex 6,2-9 [P];); er äußert sich und teilt sich mit. Gott ist daher jemand, den der Mensch beim Namen rufen kann und darf (Gen 4,26b). So bildet die Offenbarung des Gottesnamens den Grund und zusammen mit dem Schema Israel (Dtn 6,4-9) die Mitte der gläubigen Identität des Volkes im Alten Bund. hwhy ist genau der, der sein Volk aus Ägypten herausgeführt hat (Ex 20,2 et mult.). Er führt sein Volk auch weiterhin auf dem Weg (Ps 136,16; Ex 15). Die Exodusgemeinde weiß ihr gegenwärtiges und zukünftiges Schicksal in Gottes Hand. Das kreatürliche Verhältnis mündet in eine geschichtliche, persönliche Beziehung.

Gott hat es also nicht dabei belassen, die Welt zu erschaffen und sich in seiner schöpferischen Treue um sie zu sorgen. Vielmehr hat er sich in einem eigenen Akt dieser seiner Schöpfung über die natürlich-kreatürliche Ordnung hinaus auf neue Weise zugewendet, indem er sich selbst in die geschaffene Wirklichkeit hinein geschichtlich-konkret ausgesprochen hat (Offenbarung). Mit dem Anfang der Heilsgeschichte vor Christus, der Inkarnation des Sohnes und der Ausgießung des Geistes hat der ewige Vater damit gleichsam eine übernatürliche Ordnung grundgelegt.

Diese „folgt“ nicht einfachhin aus der Schöpfung als deren logische Konsequenz oder ihre zweite Phase. Wohl aber nimmt sie ihren Anfang „in“ der Schöpfung, ohne jedoch selbst kreatürlich zu sein, gewissermaßen „quer“ zu ihr, „im rechten Winkel“ (Balthasar). So ist sie „in der Welt, aber nicht von der Welt“ - dieser inkommensurabel, aber doch kompatibel zu ihr. Natürliche und übernatürliche Ordnung stehen nicht nebeneinander, als wenn die Wirklichkeit um eine neue Seinssphäre, gleichsam durch ein zweites Stockwerk, erweitert worden wäre; sie bedürfen daher nicht einer nachträglichen Vermittlung zueinander. Beide Ordnungen betreffen dieselbe Realität – nämlich die eine Wirklichkeit. Sie sind also nicht voneinander zu trennen, da sie in der Einheit des Aktes Gottes übereinkommen; wohl aber sind sie quoad nos zu unterscheiden.

Die übernatürliche Ordnung folgt ebensowenig aus Gottes Wesen wie die Schöpfung, als ob Inkarnation und Geistsendung mit Notwendigkeit erfolgten oder sich gewissermaßen aus Gott selbst ableiten ließen. Die Seinsordnung steht in sich, die Wirklichkeit in dem ihr eigenen Verhältnis zu Gott als ihrem Seinsgrund. Nicht also als einer Notwendigkeit folgend, sondern als aus Liebe ergangen ist damit die große Freiheitstat Gottes zu verstehen, in der er seinen Geschöpfen sich selbst mitteilt, sie zu seinem heiligen Volk (M(a) erwählt, sich ihnen erschließt und so im Bund (erst im Alten, dann im Neuen) eine neue Dimension von Gemeinschaft zwischen sich und seinem Volk begründet.

Daran wird deutlich, wie das Gott-Welt-Verhältnis, das ja unbeschadet der Zweizahl der Ordnungen unteilbar eines ist, näherhin zu verstehen ist: Nicht als anonyme, deistisch anmutende Gründungsbeziehung; in der inkarnatorischen Zuspitzung der Immanenz erweist sich das Gott-Mensch-Verhältnis als wirkliche, ausdrückliche, geschichtliche Begegnung. Von hier aus kann dann auch der menschlich-kreatürliche Grundakt in seiner seinsabgründigen Gottbezogenheit um so besser als personal-dialogisches Ereignis verstanden werden.

 

2. „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten, in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“ (Hebr 1,1-2a). In der Inkarnation des Sohnes gipfelt die Mitteilung Gottes seiner selbst; in ihm zeigt Gott der Welt sein Antlitz. So hat der ewige Vater „seinen Sohn, das ewige Wort, das Licht aller Menschen gesandt, damit er unter den Menschen wohne und ihnen vom Innern Gottes Kunde bringe“ (Dei Verbum). In Jesus von Nazareth ereignet sich die geschichtliche Selbstoffenbarung Gottes; in Jesus Christus öffnet sich der innere Lebensprozeß Gottes zur Welt hin. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater... Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,14.18).

Im Fokus steht damit die historische Gestalt Jesus von Nazareth mit seinem Leben und Wirken in Wort und Tat. Die Evangelien sehen ihn in einer einzigartigen Beziehung zu Gott als seinem Vater (Abba-Relation). Von ihm weiß sich Jesus gesandt, die Botschaft vom Reich in Wort und Tat zu verkünden. Er richtet das Reich Gottes inmitten des erwählten Bundesvolkes auf (Zeichenhandlungen; Sammlung des Volkes). Die Verkündigung der eschatologischen Gottesherrschaft weist hin auf die Vollendung der Bundesgeschichte. „Erfüllt ist die Zeit, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15).

Aber erst mit der Erfahrung der Auferstehung wird der Glaube der Jünger an Jesus als den Christus vollends begründet. Von hier aus erscheint auch sein vorösterliches Wirken in neuem Licht. Er ist derjenige, den die Propheten verkündet haben und den das Volk erwartet. In ihm hat sich die messianische Verheißung erfüllt. Dabei ist er nicht nur Repräsentant eines allgemeinen Sohnesverhältnisses Israels zu Jahwe. Die junge Kirche versteht Jesus als den Sohn Gottes in einem absoluten Sinn. Dieser Jesus, an dem viele Anstoß genommen haben und der am Kreuz gestorben ist, er ist der tatsächlich vom Vater auferweckte, verherrlichte Christus. Hierin besteht die „christologische Ursynthese“ (G.L. Müller) des Glaubens. Im Pascha-Mysterium von Tod und Auferstehung wird Jesus als der Sohn Gottes offenbar. Die Erfahrung des Osterereignisses begründet das Bekenntnis der jungen Kirche zu Jesus als dem Christus: „Jesus Christus ist der Herr“ (Phil 2,11).

 

Der Hoheitstitel Christus-Messias ist außerhalb der jüdischen Lebenswelt aber nur begrenzt verständlich. Die Gottesbezeichnung o( ku/riov, mit dem die LXX den in Ex 3,14 offenbarten Gottesnamen hwhy wiedergibt, faßt das nachösterliche Bekenntnis zu Jesus in dem Namen zusammen, der über jedem Namen ist (Phil 2, 9). Jesus ist der Christus, der zur Rechten des Vaters erhöhte Herr (Ps 110,1).

Die Auseinandersetzung um die Vertiefung des Verständnisses von Jesus Christus setzt sich in den folgenden Jahrhunderten fort (Hermeneutik, Dogmenentwicklung). Die theologische Reflexion der christologischen Grunderfahrung ringt insbesondere um ein Verständnis von Jesus Christus als wahrem Gott und wahrem Mensch. Die lehramtlichen Auseinandersetzungen um die theologische Reflexion der christologischen Grunderfahrung sowie die Bekenntnisformeln zahlreicher Konzilien und Synoden lassen drei Schwerpunkte erkennen:

a) Mit Formeln wie „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“ bekennen die Symbola Jesus Christus als den Sohn Gottes im Vollsinn des Wortes. Als solcher ist er nicht kreatürlich, nicht nur einer, der Gott auf eine vielleicht außergewöhnliche Weise erfahren hat oder von ihm in außerordentlicher Weise angenommen und bestätigt worden wäre. Auf verschiedenen Konzilien werden die diversen Formen, die auf eine Leugnung der Gottheit Christi hinauslaufen, zurückgewiesen (z.B. Adoptianismus). Jesus Christus selbst ist Gott: aus dem Vater geboren vor aller Zeit (Präexistenzchristologie), das Wort, das im Anfang bei Gott war (Johannes), gezeugt nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater (o9moou/siov), nicht nur irgendwie Gott ähnlich. Damit unterscheidet sich Jesus Christus qualitativ von den nur menschlichen Trägern der Offenbarung innerhalb der Geschichte (z.B. Propheten) und dies keineswegs etwa graduell, da er nicht nur eine empfangene Botschaft in die Welt hinein vermittelt, sondern selbst das Wort des Vater (lo/gov) ist.

b) Die Betonung der Gottheit Christi darf aber auch nicht mit einer Leugnung oder Nachrangigkeit der Menschheit Christi einhergehen, wie es gnostische oder dualistische Denkhaltungen in der Antike vertreten. Der lo/gov hat nicht etwa einen Scheinleib angenommen (Doketismus) und ist nicht nur quoad nos in menschlichem Gewand erschienen, wobei die Betonung auf der Eigentlichkeit seiner göttlich-pneumatischen Wesensart läge. Gott ist ins Fleisch gekommen und hat als wahrer Mensch unter uns gelebt: nicht nur anscheinend, quoad nos, im Mythos oder als Idee, sondern ganz konkret-geschichtlich und einmalig als Jesus von Nazareth. Dabei bezeichnet „Fleisch“ (sa/rc, r#f&b%f) den Menschen in seiner Schwachheit und Hinfälligkeit als sterbliches Wesen. Der, der Gott ist, ist ohne Einschränkung Mensch geworden, er ist wirklich ins Fleisch gekommen und hat unter uns gewohnt. Damit verbindet sich die Frage, wie eine Logos-Christologie näherhin zu verstehen ist, wie in Jesus Christus Gott und Mensch zusammengedacht werden können.

c) Jesus Christus als wahren Gott und wahren Mensch zu bekennen, bereitet dem menschlichen Geist in der theologischen Reflexion mitunter Verständnisschwierigkeiten. Zahlreiche begriffliche Unterscheidungen, die zur Verdeutlichung dieses Fragenkreises hilfreich sind, mußten überhaupt erst innerhalb der theologischen Auseinandersetzung um Christologie und Trinität gewonnen werden (z.B. ou)si/a, fu/siv, u(po/stasiv, pro/swpon). Vier Konzilien und zahlreiche Synoden zwischen 381 und 680 widmeten sich diesen Fragen und rangen um eine möglichst angemessene Begrifflichkeit. Aus dieser Auseinandersetzung geht die Lehre von der hypostatischen Union hervor: in Jesus Christus besteht eine Subjekteinheit göttlicher und menschlicher Natur. Die Lehre von der hypostatischen Union korrespondiert mit den bestehenden theologischen Grundkonzeptionen gottmenschlicher Einheit: Präexistenz-Christologie, Inkarnation und pneumatische Empfängnis. Der Sohn Gottes, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, er ist der Sohn Mariens (toketo/v). Von hier aus wird Maria zu Recht als Gottesgebärerin und Mutter Gottes verehrt (qeoto/kov). Gott ist Mensch geworden und hat nicht etwa die Menschennatur nur angelegt wie ein Kleid: Gott in Welt, Gott als Mensch.

Die Aufrichtung des eschatologischen Reiches Gottes markiert die Mitte des Lebens und Wirkens Jesu Christi. Dies gipfelt im Pascha-Mysterium von Tod und Auferstehung als Höhepunkt, Bestätigung und Vollendung seines irdischen Lebens. Dieses Leben Jesu in Hingabe an den Vater und im Gehorsam, den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hat (Joh 6,38), führt ihn bis zur vollständigen Entäußerung im Leiden und Tod am Kreuz (Kenosis) und zum tot sein (Mysterium des Karsamstags). In dieser Entäußerung  versteht er sich offenbar auch selbst als der leidende Gottesknecht (Jes 53), der die Gottferne unserer Sünden auf sich genommen hat, als „Lösegeld für die Vielen“ (Mt 20,28), um im „Opfer des neuen Bundes“ den Menschen ein für allemal in die innerste Gemeinschaft mit Gott hineinzuführen. In dieser entäußerten Form der Hingabe erweist sich die unermeßliche Liebe Gottes, mit der er die Seinen liebt, als „Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1).

Eine Antwort auf die Frage, warum dies alles aber gerade auf diese Weise geschehen ist, wird aus menschlicher Perspektive scheitern. Verborgen bleibt dem menschlichen Verständnis das „dei~“, die anscheinende Notwendigkeit dieser faktischen so-Gestalt des Erweises der Liebe Gottes zu uns. Schon in der frühesten Zeit der jungen Kirche ist die soteriologische Dimension in der deutenden Reflexion auf das Pascha-Mysterium vorherrschend. Soteriologie läßt sich jedoch nicht von Christologie trennen. Inkarnation ist hingeordnet auf ein Ziel, das sich aus kreatürlicher Perspektive wohl kaum ganzrational umschreiben läßt. Katabasis ereignet sich im Hinblick auf Analepsis (G.L. Müller).

Mit dem Aufbruch der neuen Wirklichkeit in der Auferstehung, Himmelfahrt und Geistsendung kommt das Pascha-Mysterium zur Vollendung. Dabei markiert das Ereignis der Auferstehung eine Schwelle am Übergang von „welthaft“ zu „welttranszendent“. Etwas transzendent Neues krönt gewissermaßen die natürliche Ordnung und bringt sie zur Vollendung, indem es sie über ihre Grenzen hinausführt. Der Vater läßt den Sohn nicht im Tod. Die Vater-Sohn-Relation überragt die Grenzen welthafter Geschichte. Das Bekenntnis des Vaters zum Sohn im Osterereignis offenbart den gekreuzigten Jesus als den geliebten Sohn zur Rechten des Vaters. Der gekreuzigte Jesus ist der vom Vater auferweckte Christus; hierin besteht die christologische Ursynthese des Glaubens.

Das geöffnete, leere Grab ist ein Zeichen, das die Frauen mit den Jüngern aufmerken läßt und zur Begegnung mit dem Herrn hinführt. In den Selbstoffenbarungen zeigt der Auferstandene den Seinen, daß er lebt. Dabei wird er von den Jüngern „gesehen“ (w)/fqh), und führt sie so zum Glauben an ihn, auf daß sie die Osterbotschaft allen Geschöpfen verkünden. Der Transzendenz des Osterereignisses entspricht so das geschichtliche Faktum der Ostererfahrung. Die Glaubensgewißheit entspringt nicht der Spekulation.

Der Auferstandene offenbart sich den Jüngern als derselbe, der am Kreuz gestorben ist und der begraben wurde. Die leibhaftige Begegnung zeigt ihn nicht als Gespenst. Er läßt die Jünger die Wundmale berühren, ißt mit ihnen und bricht ihnen das Brot. Und doch meint seine aufstrahlende Vollendungsgestalt – im Unterschied zu den biblisch überlieferten Totenerweckungen: Jüngling von Nain, Tochter des Jairus, Lazarus – keine Rückkehr in dieses irdische Leben.

Seine Heimkehr zum Vater führt ihn aber auch nicht von dieser Welt weg in einen Himmel, der als raum-zeitlicher Ort jenseits der Welt zu verstehen wäre, sondern in den (personal-relationalen und nicht lokalen) „Raum“ einer vollendeten Lebensgemeinschaft mit dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes. Im verherrlichten Christus zeigt sich ein neuer, ökonomischer Typ von Trans-Immanenz Gottes in seinem Verhältnis zur Schöpfung. Die neue Auferstehungswirklichkeit ist nicht von dieser Welt, aber doch auf diese Welt bezogen (abermals „quer“ zu ihr). So läßt der erhöhte Herr die Seinen in dieser Welt nicht als Waisen zurück, sondern sendet ihnen den Heiligen Geist als „Angeld“ (Röm 1,4; 8,11), den Heiligen Geist als Unterpfand der künftigen Herrlichkeit.

 

3. Mit der Ausgießung des Heiligen Geistes kommt das geschichtliche Ereignis des Pascha-Mysteriums zur Vollendung. Mit ihm erfüllt sich die Verheißung, er ist das Geheimnis der absoluten Gabe schlechthin. Es ist schwer, geeignete Worte zu wählen, um vom Heiligen Geist in rechter Weise zu sprechen. Ihm kommt keine bildhafte Anschauung zu, da er nicht Mensch geworden ist. Quoad nos erscheint er vordergründig gesichtslos wie der Wind, den man nicht sieht, von dem man nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht, der aber durchaus etwas in Bewegung bringt und den man, da er uns nicht fremd geblieben, sondern über uns gekommen ist, an seinen Wirkungen erfährt. Die Sprache steht daher in der Gefahr, sich in abstrakte Begriffe oder in bildhafte Rede zu verlieren. Die Sinnbilder für den Heiligen Geist, die mit seinem Wirken in Verbindung stehen, sind vielfältig: Das Wasser der Taufe, die Salbung mit Öl, Siegel, Feuer, Wolke, Taube. Das Symbol ist nicht nur Zeichen; es wird durchsichtig auf eine unsichtbare Wirklichkeit, die in ihm real zum Ausdruck kommt (Sakramentalität).

Die Bezeichnung pneu~ma, mit der die LXX das hebräische xaw%r überwiegend interpretiert, stellt den Aspekt der göttlichen Wirkkraft in den Vordergrund. Der „Wind“ deutet hin auf die Lebenskraft Gottes, seinen belebenden Atem. Pneuma bezeichnet die Kraft Gottes, durch die er selbst handelt sowie andere zum Handeln antreibt. Ruach-pneu~ma als heiligend-durchdringendes, beseelend-durchformendes Prinzip betont entsprechend der jüdischen Denkart mehr die Kraft und die Energie als die Ontologie, mehr die oikonomische Funktionalität als die göttliche Personalität des Heiligen Geistes (Appropriation).

In theologal-trinitarischer Perspektive ist der Heilige Geist die koinwni/a von Vater und Sohn. Er ist in Gott gleichsam das Band der Einheit, das Prinzip der Liebe zwischen Vater und Sohn; er besiegelt die Gemeinschaft des Vaters mit dem Sohn, was die Tradition vielfach als Band, Liebe oder Kuß umschreibt. Band, Liebe oder Kuß bezeichnen dabei jedoch kein nachträgliches, nur vermittelndes, unpersönliches Prinzip: Der Heilige Geist ist selbst ganz und gar Gott, nicht nur eine von Gottes „Energien“, freilich in einer distinkten Subsistenzweise als „der Geist“: der Dritte, auf den sich die Gemeinschaft zweier hin ausspricht, und der als Mitliebender das Drei-Gespräch mitkonstituiert.

Die Besonderheit der Wirkkraft des Heiligen Geistes äußert sich auch da maßgeblich, wo Gott seine innertrinitarische „Immanenz“ auf die Schöpfung hin überschreitet. Bezogen auf die große oi0konomi/a wirkt der Heilige Geist die Gemeinschaft zwischen dem Vater und dem menschgewordenen Sohn, dem irdischen Jesus. Im Leben und Wirken Jesu Christi offenbart sich als dessen Mitte das Walten des Heiligen Geistes; das Leben und Wirken des Sohnes ist vom Walten des Heiligen Geist zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen (Perichorese). So ist der Geist mit dem christologischen Ereignis zuinnerst verbunden: Der Heilige Geist wirkt die Empfängnis Jesu in der Gottesmutter Maria und begründet dabei die hypostatische Union als Personeinheit Jesu mit dem göttlichen lo/gov; er treibt Jesus an bei seinem Lehren und Wirken: bei dessen öffentlichem Auftreten, der Verkündigung der basilei/a und den Zeichenhandlungen; er erweist seine Kraft im Pascha-Mysterium von Leiden, Tod und Auferstehung des Sohnes. Die Ausgießung des Heiligen Geistes auf das Volk besiegelt die Auferstehung Jesu als das eschatologische Heilsereignis (Joel 3, 1-5) und stellt die Vollendung des Pascha-Mysteriums dar. Dabei bewirkt er eine gewissermaßen eschatologische Universalisierung dieses Pascha-Mysteriums.

So wird der Mensch und mit ihm die Schöpfung in den Pascha-Übergang Jesu Christi hineingenommen (Heilsdynamik), der in Auferstehung und Himmelfahrt aus der Welt und mit der Welt „auf zum Vater“ heimkehrt, um in der Einheit des Heiligen Geistes mit dem Vater zu leben. An dieser koinwni/a gibt der Heilige Geist den Menschen Anteil in der Gabe, die er selbst ist (Gnade). Der Bund Gottes mit seinem Volk mündet damit in die übernatürliche Berufung des Menschen. Dabei erfolgt die Annahme an Kindesstatt, die Verleihung der Kindschaftsgnade – nicht mehr Knechte, sondern Söhne und Erben. So ist der Mensch berufen, im Heiligen Geist „koinonial“ am trinitarisch-göttlichen Leben Anteil zu erhalten und dadurch endgültig vollendet „Rechtfertigung“, „Vergöttlichung“ und „ewiges Leben“ in der Gemeinschaft mit Gott und untereinander zu erfahren (Heil). Er ist zu einem Leben bei Gott berufen.

Der Mensch wird auf diese Weise nicht in Gott hinein aufgehoben, sondern sein kreatürliches Selbstsein kommt bei Gott zur Vollendung, indem sein kreatürlicher koinwni/a-Gottesbezug eine Neudimensionierung erfährt. Der kreatürliche Gründungsbezug wird zu einer Form des partnerschaftlichen mit-Seins überhöht, die nicht mehr von dieser Welt ist. Die Welt wird in dieser koinwni/a zu einer neuen Schöpfung. Der Himmel Gottes wird zum Lebensraum des Menschen, indem die Welt bei Gott selbst vollendet wird. Der Geist bewirkt die Vollendung hin zu dieser neuen Schöpfung, die in der Auferstehung Christi grundgelegt ist.

Der Heilige Geist ist damit das Prinzip christlicher Existenz. Er bewirkt gewissermaßen eine Hineinnahme in die Bewegung des Sohnes, der vom Vater ausgeht und in die Welt gelangt, um von dort mit dieser Welt zum Vater zurückzukehren. Der Heilige Geist begründet in uns den Glauben, erschließt uns in Jesus Christus die Heilsgeschichte, appliziert die oi0konomi/a auf den Menschen und macht sie als Heilswerk für ihn wirksam. Der Mensch erhält Zugang zu Gott, indem Gott selbst in der Kraft des Heiligen Geistes in ihm Wohnung nimmt. Die große oi0konomi/a erweist sich dabei als das große Heilswerk, das nur Gott selbst vollbringt; sie stellt sich dar als das Geschenk, das ausschließlich der Liebe Gottes entspringt. Im Heiligen Geist erhalten wir Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott.

 

4. Zu den Grundworten des Alten Testaments gehört das Schema Israel mit dem Bekenntnis zu dem einen Gott: „Höre Israel! Jahwe ist einzig“ (Dtn 6,4). Ohne die Einzigkeit Jahwes zu unterlaufen, wird aus der Erfahrung des Pascha-Mysteriums aber auch Jesus Christus und wird auch der Heilige Geist als Gott bekannt. Von dieser lebendigen Überzeugung der jungen Kirche in ihrer Praxis des Glaubens zeugt die trinitarische Sicht der Taufe auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, die Feier der Eucharistie sowie die Glaubensregel als unmittelbarer Ausdruck des apostolischen Kerygmas.

Obwohl Gott einer ist, ist er nicht für sich allein. Der eine Selbstvollzug Gottes wird als „Vater“, „Sohn“ und „Geist“ bezeugt. Diese Unterschiedenheit besteht jedoch nicht so, als ob derselbe nur zuweilen „Vater“, „Sohn“ oder „Geist“ genannt würde (Modalismus). Dagegen steht eine wirkliche, nicht nur begriffliche oder logische Unterschiedenheit (Realdistinktion). Diese Unterschiedenheit in Gott ist auf der anderen Seite aber auch nicht so zu mißverstehen, als ob in Gott nun drei verschiedene Bewußtseinszentren einmütig zusammenleben würden (Tritheismus). Im Hinblick auf die Dreifaltigkeit Gottes von drei „Personen“ zu sprechen, erscheint im heutigen Sprachgebrauch in bestimmten Fällen tatsächlich irreführend, sofern dies die Vorstellung begünstigt, als ob in Gott drei verschiedene Bewußtseinszentren subsistieren würden, gleichsam individuelle Persönlichkeiten, die nur eine nachträgliche Kollektiveinheit wie etwa drei Freunde oder eine kleine Familie miteinander finden. Demgegenüber behauptet das Bekenntnis der Dreifaltigkeit Gottes keine drei Gottheiten, keine drei Majestäten, keine drei Vertreter der Gattung Gott. Statt von „Personen“ kann daher auch von relationalen, distinkten Subsistenzweisen (K. Rahner) in Gott gesprochen werden, um kein gegenständliches Mißverständnis zu begünstigen. Die Herausforderung bei einem solchen Sprachspiel besteht jedoch darin, keine Vorstellung eines unpersönlichen, anonymen Gottes zu unterstützen.

Das Bekenntnis zu Gott als dem Dreifaltigen läßt sich aus kreatürlicher Perspektive nicht abschließend nachvollziehen, denken oder verstehen (mysterium stricte dictum). Gott ist absolutes Geheimnis: nicht allein wegen der Beschränktheit menschlicher Erkenntnis, sondern weil Gott (im positiven Sinn) das heilige Geheimnis ist. Es bleibt eine Transzendenz der Intimität, die dem Zugang des Menschen vorborgen bleibt (Deus semper maior; maior dissimilitudo).

Das Bekenntnis zu Gott als dem Dreifaltigen im Glauben der Kirche basiert aber dennoch nicht auf Spekulation, einer höheren Erkenntnis, einer zusätzlichen Offenbarung oder einem mystischen Erlebnis. Es stellt vielmehr die Antwort des Glaubens auf die geschichtliche Selbsterschließung Gottes (oi0konomi/a) dar. Auf Basis der lebendigen Glaubenspraxis der jungen Kirche setzt unter anderem motiviert durch die geistige Auseinandersetzung mit Geistesströmungen der Antike (Gnosis, Synkretismus, Neu-Platonismus, Manichäismus) immer stärker eine Reflexion über das Geheimnis Gottes ein: Das Pascha-Mysterium begründet den Glauben an Gott, den allmächtigen Vater; zugleich wird der Sohn und wird der Geist als Gott erfahren – wie verhält sich das?

Natürlich nicht als mysterium logicum (1=3?), das im Hinausgehen über das Nichtwiderspruchsprinzip eine Absage an das Denken fordern würde (credo, quia absurdum). Hier zeigt sich das monarchianische Fehlverständnis, das in der Trinität die Einheit Gottes verraten sieht. Die begriffliche Fassung des Trinitätsdogmas entspringt schlicht der Reflexion auf die erfahrene geschichtliche-konkrete Selbstmitteilung des dreifaltigen Gottes (oi0konomi/a , qeologi/a). Die Glaubens-erfahrung geht der theologischen und lehramtlichen Begrifflichkeit voraus.

Das Sprechen von einer Hypostase „Vater“, einer zweiten Hypostase „Sohn“ und einer dritten Hypostase „Geist“ bedeutet keine Vervielfältigung der ursprünglichen Erfahrung der Personwirklichkeit Gottes, sondern bezeugt vielmehr die relationale Konstitution dieser einen und unteilbaren Personwirklichkeit Gottes. Gottes Einheit beschränkt sich nicht auf nur eine Subsistenzweise.

Dabei gibt es in Gott keine Bestandteile oder Vollzugsmomente, nichts höheres oder niedrigeres. Vater, Sohn und Geist sind von ein und derselben Natur, nicht etwa nur einander ähnlich, sondern wesensgleich (consubstantiales, coessentiales). Ein anderer ist der Vater als der Sohn oder der Geist, nicht etwas anderes.

„Vater“, „Sohn“ und „Geist sind Namen der Beziehung, nicht Namen ihres einen göttlichen Wesens. Sie sind von der einen und selben Natur: ein Gott in drei distinkten Subsistenzweisen. Die Einheit besteht im Wesen, die Unterscheidung im Hinblick auf die Beziehung. Der Beziehung nach kann man in Gott Vater, Sohn und Geist real unterscheiden. Auf Gottes Wesen kann man deshalb aber noch nicht übertragen, was z.B. nur dem Sohn eigen ist. Einer nur ist der Vater, nicht alle drei; der Sohn ist am Kreuz gestorben, nicht alle drei; es ist ein Heiliger Geist, nicht drei Heilige Geiste. Nur der Vater ist ursprungloses Prinzip, nicht alle drei; nur der Sohn ist aus dem Vater geboren vor aller Zeit, nicht alle drei; nur der Geist ist gehaucht, nicht alle drei.

In der Beziehung manifestiert sich die Unterscheidung, in der Beziehung gründet aber auch die Einheit des mit-Seins. Selbst-Sein und mit-Sein der distinkten Subsistenzweisen fallen in Gott ineins. Dialog, Dreigespräch, mit-Sein, Liebe, im Unterschied zu einer gnostisch-emanativen Verströmung (e3n, nou~v, yuxh/), deuten auf die akthaft-personale innerste Lebenswirklichkeit Gottes hin. Sie gipfelt in der wechselseitigen Einwohnung (Perichorese) der drei distinkten Subsistenzweisen in der Einheit Gottes.

So kann mit dem Konzil von Florenz (Bulle „Cantate Domino“) im Rückgriff auf Anselm von Canterbury als Prinzip festgehalten werden: ...omniaque sunt unum, ubi non obviat relationis oppositio. In Gott ist alles eins, insofern nicht ein mit der inneren Beziehung der distinkten Subsistenzweisen in Gott einhergehendes Gegenüber dem entgegensteht.

Keine innerlich-relationale Unterscheidung besteht im gemeinsamen Wirken ad extra. Hierin gründet die Einheit des göttlichen Wirkens in Schöpfung und oi0konomi/a. Nur einer ist Gott, der Allmächtige. Wohl aber kommt in Gottes Wirken die proprietäre Eigentümlichkeit, die wesenstypische Eigenart der drei relationalen Subsistenzweisen Gottes zum Ausdruck: die des Vaters, aus dem alles ist, die des Sohnes, durch den alles ist, und die des Geistes, in dem alles ist. Die Grundstruktur „aus dem Vater mit dem Sohn im Heiligen Geist zum Vater“ ist das Prinzip der oikonomischen Ordnung, worin Gott selbst in seiner immanenten Trinität zum Ausdruck kommt. Der Akt der oi0konomi/a als Mitteilung seiner selbst ist wesentlich trinitarisch, weil Gott selbst trinitarisch ist. Die ökonomische Trinität ist die immanente (Rahner).


 

 


 

IV. Ant-Wort

 

1. Gott hat mit dem Akt der Schöpfung und mit seiner Selbstmitteilung in diese Schöpfung hinein sein unüberholbares Wort kundgetan. Dieses Wort gilt der gesamten Schöpfung. Adressat dieses Anrufs ist dabei in herausragender Weise der Mensch, der als Ebenbild des unsichtbaren Gottes die Würde hat, Person zu sein. Er ragt in besonderer Weise aus der übrigen Schöpfung heraus. Er verfügt über eine Disposition innerer Freiheit, die ihn zum sich-Verhalten und Entscheiden „angesichts von“ befähigt, ihn also nicht von seiner Umwelt determiniert in dieser aufgehen läßt. Im „ist“-Sagen setzt der Mensch geistigerweise zugleich eine Distanz zwischen sich und jeglichem nicht-ich. In ihm ist das Sein gelichtet. Umwelt wird zu seiner Welt. Kraft seiner geistigen Dimension ist er fähig, sich in einem erkennenden und willentlichen Verhältnis zu sich und seiner Welt bewußt zu verhalten.

Menschliches Dasein vollzieht sich in vielfältigen Bezügen. Die akthafte Spontaneität des Menschen steht dabei je schon im Kontext und entfaltet sich entlang mehrerer Dialogebenen als Bezug zum Nächsten, Weltbezug, Selbstbezug, Gottesbezug. Existenz ereignet sich kontextual-konkret: je schon in verschiedenen Zusammenhängen in welthaftem Bezug.

Der Mensch wurde bestimmt als ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält und, indem es sich zu sich selbst verhält, sich zu anderem verhält. Dabei ist das sich-Verhalten nicht ins Belieben gestellt. Menschliche Freiheit besteht nicht in einem absoluten Sinn, sondern vollzieht sich „angesichts von“. Ihre Grenze wird offenkundig an der Freiheit Anderer erfahrbar. Ein Anspruch an die Freiheit zeigt sich im Anruf des Guten, im Anspruch des Gesollten oder im Aufscheinen der Werte. Das bonum enthüllt als gerundives faciendum seinen unbedingten Anspruchs-charakter. Dies aber nicht eshaft als Einsicht in einen allgemeinen Sachverhalt, sondern werthaft-personal.

Ein solch transempirisch-unmittelbares Ereignis wird erst in der Reflexion auf das Betroffenensein erfahrbar: in der geistig-bewußten Einholung dessen, was einem bereits begegnet ist. Ich hole das ein und spüre dem nach, was mich betroffen gemacht hat, da es mich bereits zuvor betroffen hat. Ereignis-Ort all dessen ist das Gewissen. Hier wird die Erfahrung unbedingten Betroffenseins verbindlich. Dabei wird die Freiheit gefordert, als Antwort auf den Anruf an sie einen Akt zu vollbringen, der zwar ganz der ihre ist, den zu vollbringen sie aber nicht gezwungen, sondern herzlich eingeladen ist. Das Faktum der Freiheit in der Antwort auf den kategorischen Anspruch enthüllt im Akt des Menschen einen sittlichen Grundzug. Das Gute, das Schöne, das Werthafte werden verwirklicht, indem die Freiheit auf ihren Anspruch eingeht und sich von ihnen ergreifen läßt. Der Freiheitsvollzug ist dabei nicht rein aktiv oder rein passiv, sondern erfüllt sich erst im dialogisch-medialen „sich ergreifen lassen“ der „Sazienz“ (Lauth). Der actus humanus erweist sich als Antwort.

 

2. Der Mensch verdankt sich bereits in seinem Dasein einem anderen, keiner verdankt sich sich selbst. Freiheit als Anfangskraft (Guardini) fängt anderes an, nicht aber sich selbst. „Wo einer anfängt, hat er stets schon angefangen. Den Anfang haben wir nie. Immer schon sind wir – nicht über ihn hinaus, doch aus ihm heraus“ (Splett). Der Mensch fängt an, indem er angefangen wird. Dies fordert von ihm, sich sich geben zu lassen, sich als Gabe eines Anderen zu akzeptieren, indem er sich – sazient-dialogisch – anfangen läßt. Der Mensch beginnt also damit, daß er sich annimmt. Da er hierfür bereits über die Möglichkeit des Annehmenkönnens verfügen muß, muß ihm diese ihrerseits auch schon gegeben worden sein. Gerufene Freiheit ist unvordenklich.

Mit der Annahme seiner selbst entspricht er dem Wunsch des Gebers, der über die Annahme seiner Einladung ja nicht selbst verfügen kann, sondern gerade dies vom Empfänger hoffend erwartet. Dem „Annehmenkönnen“ auf seiten des Beschenkten entspricht ein intendiertes „Annehmensollen“ und „Annehmendürfen“ von seiten des Gebers, der in der Gabe auch sich selbst ausdrückt und gewissermaßen mit-gibt. Die Annahme seiner selbst ist also die erste Aufgabe.

Im bestätigenden „Amen – ja, so sei es“ kommt diese Annahme zum feierlichen Ausdruck, wenngleich intentional und willentlich vielleicht auch erst als Angeld des noch ausstehenden oder zumindest unvollendeten Vollzugs. Fortentwickelt wird sie im weiteren Lebensvollzug, in der Ausprägung der Tugenden als einem Habitus im Guten. Die Annahme meiner selbst geht einher mit der Haltung der Freude, des Friedens und des Danks für das Empfangene. Die Freude des Gebers über die Annahme und die des Beschenkten über die Gabe führt dabei über diesen nur zweisam-dialogischen Raum hinaus und wird zum gemeinschaftlichen Fest, zu dem auch die anderen geladen sind: zu Teilhabe, mit-Vollzug, mit-Freude, mit-Liebe und mit-Sein. Der hierin erfahrene Sinn impliziert die „Übereinkunft meiner mit meinem Sein im Ganzen als eine Übereinkunft mit dem Seienden im Ganzen“ (Welte). Die Wirklichkeit dieses einmal erfahrenen Sinns bleibt gültig; sie kann auch durch erfahrenen Widersinn nicht mehr aufgehoben werden.

Partner im vielfältigen Gabe-Geschehen ist aposteriorisch zunächst einmal der Andere. Der Mensch empfängt sich in Welt ja nicht anders als durch den anderen Menschen. Es kommt also darauf an, in der Annahme durch den Anderen die Annahme seiner selbst mit zu vollziehen. „Der Mensch wird am Du zum Ich“ (Buber). Dies bedeutet, daß der Mensch, der sich vom Anderen betreffen läßt, von nun an auf andere Weise sein Sein vollzieht. Der Andere muß sich jedoch selbst mitteilen, sich frei offenbaren. Er ist ja nur äußerlich dem welthaften Zugriff ausgesetzt. Er muß sich also selbst zeigen – von Freiheit zu Freiheit. Er selbst ist dabei nicht eigentlich direktes Objekt. Er gibt sich, indem er anderes gibt; indem er von anderem spricht, teilt er sich selbst mit.

Freiheit vollzieht sich in  Welt. Die Freiheitsgeschichte ereignet sich im bunten Geschehen vielfältiger kategorialer Gaben und eines vielfältigen mit-Seins. Die Erfahrung der eigenen Kontingenz und der der Welt insgesamt weist aber über die Welt hinaus auf den, ohne den nichts ist. Freiheit kann nur in Allmacht begründet sein, da sie sonst gar nicht als Freiheit bestehen könnte. Das Wesen des Menschen ist das einer angefangen-anfangenden, gerufenen Freiheit, vermittelt im welthaft-evolutiven Geschehen.

Sich annehmen aber kann der Mensch, in-über aller kategorial-vermittelnden Wirklichkeit, letztlich nur aus Gottes Hand. In-über Biologie, in-über Geschichte, in-über sittlichem Handeln, in-über kreatürlichem mit-Sein wird die Gottesbeziehung für uns konkret. Zutiefst gründet die Gabe, die ich selbst bin, in Gott. In der Antwort, die mit dem eigenen Gegebensein einhergeht, besteht der Grund- und Erstakt des Menschen. In diesem menschlichen Grundakt vollzieht sich eine Selbstüberbietung (Emergenz) über das Materielle hinaus (Leib-Geist-Natur) und über sich selbst hinaus (Liebe); hier liegt der akthafte Charakter menschlichen Daseins begründet.

Diese emergente Dynamik im actus primus ist die Antwort, die mit der eigenen Existenz einhergeht und die zugleich an Gott gerichtet ist. Er ist der Adressat des Dankes, aber auch Adressat von Klage und Protest, entsprechend der jeweiligen Befindlichkeit des einzelnen Menschen. Mit Gott steht der Mensch von Seins wegen je schon im Dialog. Grund-Ort des Menschen ist es daher, „gegenüber“ oder „angesichts Gottes“ zu sein, vor ihm zu stehen und ihm zu dienen. Hier liegt seine Berufung. Der Dialog ist freilich „seinsabgründig“ - denn Gott ist ja kein Seiendes. Immer aber hat dieser Dialog auch eine kategoriale Dimension. Der Erst- und Grundakt des Menschen kommt in den einzelnen akthaften Vollzügen zur Ausprägung und wird so seines rein transempirischen, transzendentalen Charakters enthoben. Der Mensch ist Selbstsein, das er in Bewußtsein und freier Selbsthabe vollzieht. Geist vollzieht sich in Leib, Leib verwirklicht sich in Welt.

Aus der zum Menschen vorgängigen Wirklichkeit, die der freien Tat Gottes entstammt, ergeht ein Anspruch, der eine Antwort erfordert. Die Antwort erfolgt im Gehorsam vor dem, der beruft. Sie steht unter dem bleibenden Apriori des Gebers. Erst in der Erfüllung dieses Gehorsams erhalten Selbstfindung und Selbstverwirklichung den ihnen gemäßen Platz. Die Berufung ist ja gerade die zur Freiheit. So liegt es in der Tat am Menschen, sich Ziele zu setzen und die geschenkte Freiheit im Lebensprojekt eigenverantwortlich zu verwirklichen. Aber auch im kreativen Entwurf bleibt die Existenz eine ermöglichte und geschenkte, die Freiheit eine gerufene, in bleibender Rückbindung an den apriorischen Anspruch dessen, der beruft. Der Mensch ist nicht nur Projekt seiner selbst.

 

3. Menschliches Dasein erweist sich als Existenz, insofern die Person aus der Tiefe ihrer Freiheit über sich verfügt und so ihr Leben gestaltet.

Der Mensch ist der im Anruf stehende Freie, der sich in Bewußtsein und freier Selbsthabe in welthaftem Bezug geschichtlich konkret vollzieht.

Der menschliche Selbstvollzug kommt in den Grundformen von geistigem Erkennen und freiem Wollen zur Ausprägung. Diese gehen unmittelbar einher mit dem geistig-personalen Wesen des Menschen; sie entspringen der dem Menschen innewohnenden Dynamik, über sich selbst hinauszugehen. Hierauf beruht ihre innere Einheit, ihre Komplementarität und stetige Korrespondenz.

In beiden Grundformen fallen Selbstvollzug und auf das andere hin gerichteter Bezug, Subjektvollzug und Objektbezug, ineins. Das geistige Erkennen – abstrahiert für sich betrachtet – markiert denjenigen Vollzug, in dem das Subjekt ein anderes (nicht-Ich, Jemand, Ding, Sachverhalt) in sich als gewußtes konstituiert. Dabei kommt ein Objekt kraft intentionaler Spontaneität im Subjekt auf kognitive Weise zur Präsenz; dies ist ein Prozeß, der mit den Sinnen anhebt und im Urteil seinen Abschluß findet. qewri/a umfaßt dabei alle Formen geistiger Erkenntnis, unmittelbare intellektuelle Anschauung (im hinnehmenden Realbezug) genauso wie rational vermitteltes Denken. Dabei wird der Mensch in den Seienden schließlich des Seins ansichtig, und zwar um dessen selbst willen. Dieser Bewegung korrespondiert das Wollen. Das Subjekt geht auch hier über sich hinaus, in diesem Fall jedoch befindet es sich, gleichsam sich hingebend, auf intentional-voluntative Weise beim anderen. Dieser Überstieg seiner selbst vollzieht sich als Hingabe an das andere in Anerkennung seiner selbst.

In der Einheit des menschlichen Selbstvollzugs ist die geistige, nämlich kognitiv-voluntative, mit einer leiblichen Dimension innerlich verschränkt. Geist vollzieht sich in Leib, Leib verwirklicht sich in Welt. Der Selbstvollzug erfolgt akthaft-konkret sowie raum-zeitlich konkret. Dabei sind die einzelnen Vollzüge im Verlauf eines Lebens, obgleich es sich dabei um den einen Selbstvollzug eines bestimmten Menschen handelt, vielfältig und gestalten sich situativ-konkret je anders. Nur das Abstrakte, das nicht für sich Wirkliche, läßt sich beliebig oft wiederholen. Das konkrete Wirkliche ist je einmalig. Insofern eignet dem menschlichen Leben eine je individuelle Gestalt. Zum einen, weil der konkret-einmalige Mensch genau dieser und nicht ein anderer ist. Zum anderen, weil die Person in Freiheit über sich verfügt und so ihr Leben in eigenem Stil entwirft und gestaltet.

Qewri/a, pra~civ und poi/hsiv zeigen sich als Dimensionen des menschlichen Aktes ineinander verschränkt; sie sind nicht auseinander zu trennen trotz der Möglichkeit, sie voneinander zu unterscheiden. In allem Selbstvollzug waltet die akthafte pra~civ sittlichen Handelns, damit einhergehend die Vernunft (in ihrer praktischen und theoretischen Gestalt) im kognitiven und voluntativen geistigen Vollzug der qewri/a. In alledem ist der Mensch stets konkret welthaft bezogen: Er verrichtet Tätigkeiten, tut konkrete Dinge, leistet mehr oder weniger produktive Arbeit, erfreut sich an Musik, feiert Feste, erhöht die Entropie und dergleichen mehr; in alledem zeigt sich poi/hsiv – ohne jedoch dabei die pra~civ hinter sich zu lassen. Menschliches Handeln ist mehrdimensional. Es kontrahiert Möglichkeiten unwiderruflich zu Wirklichkeit.

Bei aller Verschränkung des Geistigen und Leiblichen, bei aller Untrennbarkeit von theoretischem, praktischem und poietischem im menschlichen Vollzug lassen sich je nach Anlage, Präferenz und Berufung aber dennoch gewisse Schwerpunkte klar ausbilden, die dem eigenen Leben Identität und Profil verleihen: z.B. Musiker mit Leib und Seele, Philosoph um der Wahrheit willen, Gottsucher in der Wüste, Diakon in tätiger Nächstenliebe etc. Kein Menschenleben gleicht einem anderen. Selbstvollzug als Freiheitsvollzug ermöglicht grundsätzlich – trotz aller Einschränkung durch faktische Umstände – die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und dabei die Ausprägung eines persönliches Stils (z.B. Lebensstil, Denkstil, Kompositionsstil) als je-meinigen.

 

4. Der menschliche Selbstvollzug beschränkt sich nicht auf die Ausprägung seiner selbst, nicht auf das Selbstverhältnis im Bereich des Persönlichen. Menschliches Leben vollzieht sich nicht in der bloßen Individualität des Privaten, in der Sphäre des reinen Ich. Endliches definiert sich nicht aus sich selbst, auch nicht in Abgrenzung zum Unendlichen, zu dem ja keine Grenze besteht, sondern gegen anderes Endliches. Der Mensch empfängt sich in Welt nicht anders als durch den anderen Menschen. Das Verhältnis zum Nächsten ist also keineswegs nachträglich, keine nachträgliche Relation eines in sich ruhenden, fertigen Ich. Der Selbstbezug für sich ist nicht das erste. Er setzt als Antwort bereits die Annahme meiner selbst aus der Hand des anderen voraus. Zunächst bin ich vor ihm der Empfangende, nicht zuletzt aber für ihn auch ein Gebender. Das Verhältnis zum Anderen erweist sich als Dialog, der sich in wechselseitigem Austausch vollzieht.

In der Verschränkung von Vollzug meiner selbst und Bezug zum Anderen manifestiert sich die akthafte Einheit von Selbst-, Gottes- und Nächstenliebe. Liebe bezeichnet hierbei ja nicht einen spezifischen, partikularen Einzelakt. Insofern steht sie als Tugend für die innere (endlich-vollendete) Richtigkeit meines ganzen Aktes in Vollzug und Bezug.

Nächstenliebe bezeichnet insofern die grundrichtige Disposition meiner Grundhaltung angesichts des konkreten Nächsten. In der Begegnung bedeutet sie Dialog und Zuwendung von Person zu Person. Dies erfordert aber auch, den Nächsten anzuerkennen als der, der er ist bzw. der er eigentlich sein soll, gewissermaßen wie Gott ihn gedacht hat. Dies wiederum erfordert, im Vollzug des Bezugs zum Nächsten sich in eben die Liebe bejahenderweise mit einzuschwingen, mit der Gott jenen liebt. Dabei darf ich ihm zum Boten Gottes werden, ihm das Seine geben, das er ja auch empfangen muß, woran mitzuwirken ich nun die Ehre habe.

Als Mitvollzug der Liebe, mit der Gott den Anderen liebt, erfordert der Vollzug der Nächstenliebe grundsätzlich keine besonderen, sympathiebegründenden Motivatoren oder Attraktoren. Nicht Wenige haben den Nächsten gerade in seiner Entäußerung zu lieben gelernt. Sympathie mag den Zugang zum Nächsten vordergründig erleichtern. Sie steht aber zugleich in der Gefahr, die eigentliche Liebe auf kosten vordergründiger Zuneigung zu verdunkeln, statt sie vielmehr zu erschließen. Die Liebe ist gewissermaßen ein Akt der Gerechtigkeit: dem Nächsten das seinige zu geben.

Die Liebe übersteigt die geistig-intentionale Dimension der Anerkennung. Geist vollzieht sich in Leib, Leib aber verwirklicht sich in Welt. Insofern drängt die Liebe zu Werken der Liebe. Dem Nächsten gutzuwollen mündet darin, ihm das Gute und Notwendige auch wirklich zu tun; ihm zu helfen, Mangel und Unterlegenheit zu überwinden; ihn auf seinem Weg voranzubringen; ihm zu geben, was er zur menschenwürdigen Lebensführung und zu seinem Wohlergehen benötigt; Werke der Barmherzigkeit bis hin zur menschenwürdigen Bestattung der Verstorbenen zu vollbringen.

Die vielfältigen Handlungsbedarfe machen deutlich, daß Wohlergehen und Nöte des Einzelnen meist in einem größeren Zusammenhang stehen. Das Leben des Menschen ist eingebettet in den Kontext der Welt auf ganz unterschiedlichen Bezugsebenen. Dabei kommt der sozialen Natur des Menschen und seinem Leben in Gemeinschaft eine besondere Bedeutung zu. Zusammenleben entfaltet sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Immer aber meint es ein geistiges, weil personorientiertes Geschehen. Das tagtägliche Leben erweist sich geradezu als Geflecht von sozialen Bezügen.

Das Soziale ist eine Wirklichkeit eigenen Typs. Dabei bleibt die Gesellschaft jedoch immer eine personbezogene Größe, deren Eigenleben sich nicht gegen den Menschen als solchen richten oder von ihm entkoppeln darf. Wurzel, Träger und Ziel des Sozialen ist immer der Mensch. Der ontologische Status des Menschen begründet die kategorische Unverrechenbarkeit menschlichen Lebens. Es geht immer um den konkreten, einzelnen Menschen. Der Mensch existiert nicht anders denn als Individuum; er ist daher nicht nur der mehr oder weniger zufällige Vertreter einer allgemeinen Gattung „Mensch“, Repräsentant einer fiktiven Menschheit – insofern verhält es sich grundlegend anders als z.B. beim Vektor, der eine abstrakte Größe ist und immer nur in Vektorrepräsentanten subsistiert. Die unantastbare Würde des Menschen geht daher der Gesellschaft voraus. Gesellschaft basiert auf der Gesellschaftlichkeit des Menschen. Das Personprinzip ist erstes Prinzip der sozialen Dimension des Lebens.

Die Solidarität mit allen, die bedürftig sind, ist sittlich geboten. Diese richtet sich auf den Nächsten, keineswegs aber immer nur auf den Einzelnen. Es ist erforderlich, den Blick gerade um des Einzelnen willen auch auf die sozialen Zusammenhänge und den globalen Gesamtzusammenhang zu richten. Gewisse Strukturen richten sich gegen den Menschen; sie dienen nicht der Entfaltung der Persönlichkeit aller, sondern fördern Unfreiheit und Mangel. Diese „Strukturen der Sünde“ wurzeln wohl in persönlichen Sünden, reichen in ihrer Wirkung aber weit über die Handlung eines Einzelnen hinaus, so als würden sie ein Eigenleben entfalten. Ungleichheit in wirtschaftlichen Beziehungen und die damit einhergehende Unterdrückung und Unfreiheit oder z.B. entäußerte Staats- und andere nicht im Dienst des Menschen stehende Machtstrukturen beeinträchtigen das Leben Vieler. So ist die Zahl derer groß, die unter der unerträglichen Last des Elends leiden.

Die Solidarität gebietet, sich „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ der Mitmenschen zueigen zu machen, ihnen auf persönlicher Ebene beizustehen, aber auch alle Anstrengungen zu unternehmen, um schließlich die Strukturen der Sünde zu überwinden. So erstreckt sich die Verantwortung (der Einzelnen wie auch der Gemeinschaften) mit darauf, für eine angemessene Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens auf den einzelnen Ebenen Sorge zu tragen und dabei insbesondere die globale Dimension zu beachten. Die Frage von Entwicklung und Unterentwicklung ganzer Wirtschafts- und Lebensräume hat nicht nur eine ökonomische Dimension, wie etwa an der Frage der Achtung der Menschenrechte sichtbar wird; gerade aber die ökonomische Dimension macht die Verschränkung aller mit allen meßbar und in besonderer Weise deutlich. Materielle Güter tragen nicht schon von sich aus zum gelungenen Leben bei. Jedoch sind auch materielle Mindestvoraussetzungen für ein gelingendes Leben unumgänglich. Bei der Gestaltung der sozialen Strukturen ist somit sicherzustellen, daß jeder Einzelne ein ihm gemäßes, gutes Leben führen kann. Grundwerte müssen zumindest dann explizit verbürgt und als Grundrechte gesichert werden, wenn ihre Wahrung für den Einzelnen ansonsten nicht sichergestellt ist.

In alledem entfaltet sich die Antwort auf den Anruf, der an jeden Menschen ergeht. Antwort erfolgt also nicht nur in individueller Perspektive. Wirksame Antwort erfordert zuweilen organisiertes Tun in großem Stil. Sittlichkeit erhält hier eine soziale Dimension. Antwort wird zur gemeinschaftlichen Antwort.

 

5. Nächsten-, Selbst- und Gottesliebe sind im akthaften, menschlichen Vollzug nicht voneinander zu trennen. In der Nächstenliebe schenke ich meinem je Nächsten die volle Bejahung seiner selbst in Anerkennung seiner Unverfügbarkeit, die in Gott gründet. Die Selbstliebe erweist sich als Annahme meiner selbst aus der Hand eines Anderen, der mir die Gabe Gottes, die ich selbst bin, vermittelt. In der Gottesliebe gipfelt menschlicher Vollzug in seiner vollständigen Hinwendung zu seinem absoluten Grund als Anbetung vor dem heiligen Geheimnis. Der Akt der Liebe kommt stets verschränkt entlang seinen Grunddimensionen zur Entfaltung. Im Akt der Liebe sind auf dem Hintergrund der thematischen, expliziten Intention die jeweils anderen Dimensionen untrennbar je schon mitgegeben. In-über allem Kategorialen vollzieht der Mensch seine abgründige Relation zu Gott. In alledem tritt der Mensch – wenn auch welthaft vermittelt, weghaft und zuweilen verdunkelt – vor das Antlitz Gottes und bezieht dort seinen festen Ort. Explizit und thematisch aber erweist sich das Gottesverhältnis als Glauben.

Glauben ist nicht irgendein Akt des Geistes, sondern ein Grundakt und daher eine Grundbestimmung menschlichen Daseins: Glauben ist Existential.

„Glauben“ ist ein Wort der religiösen wie auch der Normalsprache. Der religiöse Wortgebrauch im Sinn einer Lehnübersetzung von pisteu&ein bzw. credere umfaßt sowohl ein washaftes „für wahr halten“ (fides quae creditur; geglaubter Glaube) als auch ein eher akthaftes „vertrauen“ (fides qua creditur; glaubender Glaube). Beide Bedeutungsfelder erscheinen bereits im frühen Sprachgebrauch ineinander verwoben, so daß eine 3-wertige Grundstruktur von „jemandem etwas glauben“ besteht: A (Nominativ) glaubt dem B (Dativ) ein C (Akkusativ). Beide Bedeutungsfelder korrespondieren mit der Semantik von „Glauben“ in der profanen Sprache. In jener steht der kognitive Wortsinn (Erkenntnis, Urteil) noch ausdrücklicher im Vordergrund. pi&stiv im Sinne von „für wahr halten“ markiert einen bestimmten Grad von Gewißheit und rückt (platonisch) in die Nähe zu do&ca (bloße Meinung) im Unterschied zu e0pisth&mh oder gnw~siv (wahres Wissen), das sicher gewußt wird. Hieraus wird die Mutmaßung einer scheinbaren Entgegensetzung von (hypothetischem) „glauben“ und (sicherem) „wissen“ begünstigt. „Glauben“ eignet dabei eine eher subjektive Gewißheit. Diese basiert oftmals auf einem Vertrauen auf die Vertrauenswürdigkeit und Glaubwürdigkeit einer anderen Person oder einer Tatsache (Evidenz, Autorität, Treue). Eine (objektive) Restunsicherheit bleibt. Gerade hierin unterscheiden sich religiöse und profane Wortbedeutung am stärksten: „Glauben“ impliziert in der religiösen Sprache höchste , die eigene Existenz einbeziehende Gewißheit, für die nicht nur eine hypothetisch-subjektive, sondern tatsächliche Geltung beansprucht wird (Wahrheit).

Als Akt ist Glauben immer konkret und präsentisch. Die Konkretheit dieser Intentionalität impliziert neben der Akthaftigkeit zugleich seine Washaftigkeit als grundlegende Eigenschaft des Glaubens. Die Wirklichkeit, die der Glaubende in seinem Glauben bejaht, ist sachverhaltig und washaft, gestalthaft und inhaltlich. Zu glauben setzt ein gewisses Verständnis vom Geglaubten voraus. Konstitutiv für Wortgebrauch und Begriffsverständnis ist daher (1.) eine bejahende Aufnahme der Offenbarung bzw. die Zustimmung zur Glaubenslehre unter dem Aspekt ihres Wahrheits- und Geltungsanspruchs. Exemplarisch hierfür steht die augustinische Definition „Denken mit Zustimmung“ im Sinne eines kognitiv-intellektiven Verständnisses von „Glauben“. Zugleich ist (2.) Gott als Ziel dieses Glaubens (propositionaler Gehalt; Intentionalität, die nicht ins Leere geht) zugleich der, der im Glauben bejaht und selbst gehört wird (fides ex auditu), auf den der Mensch als Hörer des Wortes gerichtet ist und dem er sich im Vertrauen hingibt. Die Zustimmung im Vollzug des Glaubens impliziert daher ein raumgebendes Sich-Öffnen für das Wort Gottes, ein Festmachen in Gott. Weder die akthafte noch die washafte Seite des Glaubens kann für sich allein bestehen: ein reiner Fürwahrhalteglauben wäre tot; die bloße aktuale Zuständlichkeit eines indefiniten Gläubigseins wäre für sich allein leer. Glauben bezeichnet einen akthaften Vollzug, der immer eine bestimmte Richtung besitzt, einen konkreten Inhalt, der Wahrheit und Hingabe beansprucht. Beide Bedeutungsfelder erweisen sich als komplementär und konstitutiv für einen Begriff des Glaubens.

Glauben in seiner akthaften Konkretheit ist nicht zuerst als Ergebnis eines spekulativen Nachsinnens des menschlichen Geistes zu verstehen. Er gedeiht im welthaften Kontext: innerweltlich-dialogisch, im Raum des mit-Seins, vermittelt von Mensch zu Mensch. Der Dialog ist der Ort des Zeugnisses. Der Glaube des Einen wird für den Anderen ansichtig und vernehmbar – ein Bekenntnis, für das man sich öffnen und von dem man sich betreffen lassen, das man in Freiheit annehmen kann. Das Zeugnis mag mehr oder weniger aus sich heraus evident sein; es bleibt Zeugnis und Botschaft dieses konkreten Zeugen: Die Botschaft wird diesem Zeugen geglaubt.

Der heutige Zeuge für Jesus Christus steht in der Tradition jener, die damals dabei gewesen sind und zum Glauben kamen. Erst durch ihr Zeugnis, die Weitergabe dessen, was sie gehört (Offenbarung) und was sie verstanden haben (Hermeneutik), ist der Glaube durch die Geschichte zu uns gelangt (Schrift, Tradition). Insofern aber nimmt der Glaube auch den heutigen Menschen hinein in die Gegenwart der geschichtlich konkreten Selbstmitteilung Gottes (Anamnese). Der Glaubende ist in der Gemeinschaft der Kirche gewissermaßen unmittelbar mit den ersten Zeugen verbunden: nicht nur mittels einer Wolke von Zeugen durch die Geschichte, sondern in der direkten Gegenwart Gottes kraft des Heiligen Geistes (Gnade). Der heute Glaubende wird – hineingenommen in Gott – zum präsentischen Hörer des Wortes, das er im Glauben annehmen und fortan vor den Weggefährten in Kirche und Welt selbst bezeugen kann.

Theologie erweist sich gewissermaßen als Funktion oder Ausprägung des Glaubens, indem sie Sachverhalte ordnet, erhellt, auslegt und zur Sprache bringt. Die methodisch geleitete Reflexion auf den Glauben kann auf diese Weise einen wichtigen Beitrag für den Glauben selbst erbringen, indem sie die lebendige Glaubensreflexion des Glaubenden unterstützt; sie kann an der Auferbauung der Kirche mitwirken, etwa indem sie das Lehramt proaktiv nährt. Theologie gewinnt „auf reflexive Weise ein immer tieferes Verständnis des in der Schrift enthaltenen und von der lebendigen Tradition der Kirche unter Führung des Lehramtes getreu überlieferten Wortes Gottes, sucht die Lehre der Offenbarung gegenüber den Ansprüchen der Vernunft zu klären und schenkt ihr schließlich eine organische und systematische Form“ (Donum Veritatis).

Der konkrete Glaube hat seine Propositionalität. Auch in dieser Tatsache äußert sich seine komparativische, unabschließbare Grundeigenschaft des „je mehr“. Er ist stets auf Vertiefung gerichtet: Glauben setzt immer neuen Glauben. Er bleibt insofern unabgeschlossen. Die Realisierung des Gott-geschöpflichen Verhältnisses, das Hören des Wortes, die Aneignung der christlichen Botschaft ist ein Prozeß, der an kein Ende kommt und mit der Reichweite des Lebens einhergeht. Unabschließbar ist er schon deshalb, weil er aufgrund seiner besonderen Proposition (Deus semper maior, Inkommensurabilität) an kein Ende kommen kann. Unabschließbar ist er aber auch, insofern der Dialog nicht endet, wenngleich sich die Gestalt wandeln mag (status viatoris, visio beatifica).

Glauben ist actus humanus, ein akthaft-washafter Vollzug geistig-intentionalen Charakters. Ereignis-Ort des Glaubens ist der Glaubende selbst in seiner als Glauben zu charakterisierenden Richtung auf Gott.

Träger des Glaubens ist die Gemeinschaft der Glaubenden; nicht als eine Gemeinschaft, die sich aus ihren Mitgliedern selbst konstituieren könnte, sondern als das im Heiligen Geist versammelte Volk Gottes. Die akthafte Unmittelbarkeit des Glaubens im einzelnen Gläubigen, der in seinem Glaubensverständnis zugleich einen Sinn für den Glauben entfaltet und Wahrheit grundsätzlich zu erkennen vermag (sensus fidei), korrespondiert mit dem Austausch über den Glauben zwischen den Glaubenden im Raum der Kirche (sensus fidelium, communio sanctorum).

 



 

 


 

V. Kirche

 

Der Schöpfung durch Gott und der Selbstmitteilung Gottes in die Schöpfung hinein entspricht die Antwort des Menschen. In diesem Kontext Gott-menschlicher Dialogik entfaltet sich das Geheimnis der Kirche. In ihr vollzieht sich eine Verschränkung göttlicher koinwni/a und menschlicher Existenz in der Perspektive der oi0konomi/a. Die Kirche ist daher im Bewußtsein der Gläubigen von Anfang an als von Christus gegründet und in der Kraft des Heiligen Geistes lebendig in den Glauben selbst einbezogen (Symbola).

 

1. Das Geheimnis der Kirche gründet im Geheimnis Gottes. Dabei entspringt die Kirche dem koinonialen Leben des dreifaltigen Gottes selbst, insofern dieser in seiner Selbstmitteilung, der großen oi0konomi/a der Selbstteilgabe in der Menschwerdung des Sohnes und der Ausgießung des Heiligen Geistes, sich selbst, sein Leben dem Menschen erschlossen und auf ihn hin eröffnet hat. Wie der Heilige Geist die koinwni/a von Vater und Sohn ist, so verwirklicht er in der Kirche eine neue – übernatürliche – Dimension der koinwni/a zwischen Gott und den Menschen sowie zwischen den Menschen.

Jesus Christus versammelt das Volk Gottes im Neuen Bund. Dabei steht die junge Kirche in der Tradition des Alten Bundes, den hwhy mit seinem Volk geschlossen, das Volk Israel versammelt und aus Ägypten herausgeführt hat (Heilsgeschichte vor Christus). So schließt kuriakh/ (vgl. e0kklhsi/a, oi0ki/a) an das hebräische lhfqf an. Im Unterschied zur normalsprachlichen griechischen Semantik ist darunter nun nicht die Volksversammlung zu verstehen, die sich aus eigenem Antrieb und in eigener Vollmacht konstituiert. Das Volk Gottes ist nach biblisch-hebräischem Verständnis das von Gott erwählte und im Bund versammelte Volk Jahwes. Gott ist der zuerst Handelnde (Schöpfung, Erwählung). Die Kirche aber stellt ein Werkzeug in der Heilsgeschichte dar, sie ist freie Gabe Gottes („von oben“) und nicht nur etwa eine Versammlung von Menschen, die sich aposteriorisch nach Art einer Gesellschaft zusammenfinden.

Die Kirche ist durch Gott konstituiert. In der Kirche ist somit das neue Volk Gottes im Neuen Bund durch Jesus Christus im Heiligen Geist auf den Vater hin versammelt als „das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinte Volk“ (Cyprian), zu dem alle Menschen berufen sind. Hierauf gründet die grundsätzliche Einheit, die unzerstörbare Heiligkeit und die universelle Katholizität der Kirche.

Der Heilige Geist konstituiert die aus allen Völkern erwählte und versammelte Jüngergemeinschaft Christi als das heilige Volk Gottes im Neuen Bund. Dabei besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der vorösterlichen Lebens-gemeinschaft der Jünger mit Jesus und der nachösterlichen Kirche als Glaubensgemeinschaft mit Christus im Heiligen Geist (Apostolizität). So ergibt sich eine „ekklesiologische Ursynthese“ (G.L. Müller). Christus selbst bleibt das Haupt seines Volkes; er lebt in seiner Kirche und handelt in ihr. Das Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche ist mit dem innigen Zueinander zwischen Bräutigam und Braut zu vergleichen. Das Licht Christi strahlt auf dem Antlitz seiner Kirche wider (Lumen Gentium). Die Tradition kennt eine Fülle an biblischen Bildern, die im Lichte Christi auf die Kirche hin gedeutet werden (geistige Schriftauslegung) und ihr Wesen umschreiben: Jungfrau, Tochter Zion, neue Eva, Arche des Heils, Weinberg und andere mehr. Hippolyt z.B. spricht in seinem Hohenliedkommentar von der «königlichen Braut Christi ».

Bezeichnung für die organische Zusammengehörigkeit und koinoniale Einheit der Kirche ist bereits bei Paulus der „Leib Christi“, in dem die vielen Glieder der Kirche unter Christus als dem einen Haupt vereinigt sind (Einheit-in-Mannigfaltigkeit). Der Begriff des Leibes steht hier jedoch nicht als bloße Metapher. „Leib“ ist die Kirche so denn ja auch nicht in physischer, sehr wohl aber in mystischer Hinsicht. Dabei ist sie ein organisches Gefüge, ein einziger aus vielen Menschen im Heiligen Geist als ihrem inneren Lebensprinzip konstituierter – auch sichtbarer – Leib, dessen Haupt Christus ist (corpus Christi mysticum). Der Leib des gekreuzigten, toten und auferstandenen Leibes Christi ist insofern das Urbild für den Übergang von der alten zur neuen Schöpfung. Die Gläubigen sind in der Taufe Christus gleichförmig geworden, und so hineingenommen in seinen Tod und seine Auferstehung. Die Teilhabe am Leib Christi und die damit einhergehende Hineinnahme in das göttliche Leben begründet – noch über die Kreatürlichkeit hinaus – die besondere Heiligkeit des Menschen, die von Gott kommt und zu der alle berufen sind.

 

2. Der Mensch und mit ihm die Schöpfung werden in der Kraft des Heiligen Geistes hineingenommen in den Pascha-Übergang Jesu Christi. Damit erhält der Mensch Anteil an der innertrinitarischen Gemeinschaft Gottes selbst (Gnade): der Gemeinschaft des Vaters mit dem Sohn im Heiligen Geist. Diese als übernatürliches Ziel und Überhöhung der Schöpfung geschenkte Gemeinschaft gründet selbst noch einmal  im Leben des dreifaltigen Gottes. Der Heilige Geist als die koinwni/a von Vater und Sohn ist diese Teilgabe am Leben Gottes in Person; er ist das Angeld der Heineinnahme des Menschen in das Leben bei Gott. Der Bund Gottes mit seinem Volk, der sich als übernatürliche Berufung darstellt, führt zur Annahme an Kindesstatt im Neuen Bund. Der Mensch wird berufen, im Heiligen Geist mit Christus beim Vater „koinonial“ am trinitarisch-göttlichen Leben Anteil zu erhalten. Der Mensch erhält Zugang zu Gott, indem Gott selbst in der Kraft des Heiligen Geistes in ihm einwohnt. Die große oi0konomi/a ist das Geschenk Gottes seiner selbst an seine Kreatur, wobei er diese seine Kreatur gewissermaßen über die Schöpfungswirklichkeit hinaus erhebt und ihr an seinem innergöttlich-trinitarischen Leben Anteil schenkt.

Im Heiligen Geist erhält der Mensch schon jetzt Anteil am Pascha-Übergang des Sohnes. Die Annahme an Kindesstatt wird bereits jetzt real vollzogen, auch wenn der neue Mensch in Christus in dieser Zeit noch verborgen bleibt. Die Wirkung dieser pneumatischen Realität (in der Welt aber nicht von der Welt) ist aber bereits die eschatologische. Die eschatologische Wirklichkeit des neuen Himmels und der neuen Erde ist schon jetzt angebrochen; allein ihre Vollendung am Ende der Zeit steht noch aus. Die pneumatische Realität ist gewissermaßen Keim des Neuen, aus dem heraus allmählich das Neue zur Entfaltung kommt – bereits jetzt auf dem Weg durch diese Zeit bis hin zur allgemeinen Vollendung am Ende der Geschichte.

Jesus hat die basilei/a tou~ qeou~ verkündet, deren Same wächst bis zur Zeit der Ernte. Die Kirche nun bezeichnet das im Mysterium schon gegenwärtige Reich (LG 3), sie ist bereits in dieser Welt Keim und Anfang des Reiches Gottes und damit Zeichen der neuen Welt. Die Kirche wächst sichtbar in der Welt; so entfaltet sie ihr geschichtlich-eschatologisches Wesen, in der Zwischenzeit bis zur Wiederkunft des Herrn. In ihr bleibt der Pascha-Übergang des Sohnes, der kraft des Heiligen Geistes bereits auch der unsere ist, für alle Zeit präsent. Die Kirche ist somit sichtbare Gemeinschaft der sich geschichtlich durchsetzenden Gottesherrschaft. Das Volk Gottes schreitet beständig voran auf seinem Pilgerweg, unterwegs zur Vollendung bei Gott, Christus, dem Herrn, entgegen.

 

3. Die Kirche ist eine Wirklichkeit eigenen Typs. In dem positiven Begriff „Mysterium“ gipfelt die Aussage über das innere Wesen der Kirche. Die Kirche ist weder nur immanent-sichtbar (imperium, societas) noch nur transzendent-unsichtbar (ecclesia abscondita). In ihr vereinen sich die Elemente sichtbarer Versammlung und geistlicher Gemeinschaft. Die sichtbar-unsichtbare Einheit der Kirche steht in Analogie zum fleischgewordenen Wort. Hierin entbirgt die Kirche ihre komplexe Wirklichkeit: sie ist irdisch und himmlisch, göttlich und menschlich zugleich.

So ist die Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). In ihr vollzieht sich die große oi0konomi/a der Selbstmitteilung Gottes und der Einbergung des Geschöpfs in Gott. In ihrer Sakramentalität ereignet sich die Applikation der großen oi0konomi/a, in die der Mensch kraft des Heiligen Geistes hineingenommen wird. In ihr erfüllt sich die Berufung des Menschen, im Heiligen Geist am Sohnesverhältnis Christi zum Vater teilzuhaben. So begründet die Kirche eine Existenzform des mit-Seins, der Gemeinschaft mit Gott und untereinander, worin ihr koinonialer Charakter zum Ausdruck kommt.

Die Kirche ist Ereignis-Ort der im Heiligen Geist schon jetzt angeldhaft gegebenen neuen Wirklichkeit des Anteils am Pascha-Mysterium und damit am Leben Gottes selbst. In ihr ereignet sich schon jetzt die Einbergung des Menschen in Gott, auch wenn deren Vollendung erst am Ende der irdischen Pilgerschaft offenbar wird. Sie ist der pneumatische „Ort“ unseres Seins im Heiligen Geist mit Christus beim Vater, der jetzt-Ort der bereits im Mysterium erfolgten eschatologischen Einbergung in Gott. Sie bezeichnet den Ort des neuen Menschen, den Ort unseres Seins im Heiligen Geist. So kann sie mit Recht die neue Arche genannt werden. Die Kirche ist in ihrem Kern selbst eine pneumatische Größe. Durch die Ausgießung des Heiligen Geistes wurde am Pfingsttag die Kirche der Welt offenbar (LG 2, SC 6).

In alledem äußert sich die Sakramentalität der Kirche, deren innere Mysterienwirklichkeit sich in einer konkreten und sichtbaren Gestalt nach außen hin verwirklicht und darstellt. Die Kirche ist somit das erste und eigentliche Sakrament, Wurzel-, Ur- und Universalsakrament. In ihr wird die koinwni/a des Menschen mit Gott sowie der Menschen untereinander in oikonomischer Perspektive verwirklicht. Die Kirche drückt das aus, sie stellt das nach außen hin dar, was sie selbst bezeichnet (Ontologie des Symbols). Sie ist selbst sakramental: sichtbarer Ausdruck einer größeren, unsichtbaren Wirklichkeit.

 

4. Der Vollzug dieser (Grund-)Sakramentalität kommt in den kirchlichen Grundvollzügen, insbesondere in den einzelnen Sakramenten zum Ausdruck, in denen der kirchliche Vollzug gipfelt. Sakramente sind sinnenhafte Zeichenhandlungen, die das, was sie bezeichnen, auch bewirken. Als Handlungen Christi und der Kirche sind sie sichtbare Ausdrucksgestalt einer unsichtbaren Wirklichkeit (in-über Welt), deren Wirkung in den Sakramenten selbst und nicht außerhalb ihrer (z.B. im Subjekt) begründet ist (ex opere operato).

Unter ihnen ragen die Sakramente der Taufe, der Firmung und der Eucharistie in besonderer Weise hervor, da in ihnen die Kirchengliedschaft grundgelegt wird (Initiation). Dabei wird der Mensch im Bad der Taufe unter Anrufung der göttlichen Dreifaltigkeit hineingenommen in das Paschamysterium Christi, als Taufe in seinen Tod und seine Auferstehung hinein (Röm). In Christus nimmt der Mensch teil an der neuen Schöpfung, vollzieht er die Heimkehr zum Vater in der Kraft des Heiligen Geistes. In der Taufe wird die koinwni/a des Menschen mit Christus in oikonomischer Perspektive begründet: Einbergung in Christus, Hinordnung auf Christus, Übereignung der Person an Christus, Gründung der eigenen Existenz auf Christus. Die Taufe ist daher das grundlegende Sakrament und die Eingangspforte zu allem kirchlichen Leben. Einmal vollzogen, bleibt sie unwiderruflich, unüberholbar und unwiederholbar.

Im Sakrament der Firmung ereignet sich die Besiegelung dessen, was in der Taufe grundgelegt ist. Das Sakrament der Firmung beschenkt die Getauften, die auf dem Weg der christlichen Initiation voranschreiten, mit der Gabe des Heiligen Geistes in Fülle und verbindet sie auf das innigste mit der Kirche. Der Getaufte erhält das Siegel des Heiligen Geistes. Im Geist erhält der Getaufte die Bekräftigung seines Glaubens, um sich nun auch nach außen hin in Wort und Tat noch mehr als Zeuge Christi zu erweisen.

In der Feier der Eucharistie (Pascha, österliches Mahl) erscheint das Geheimnis der Kirche am vollständigsten sichtbar verwirklicht: „Sie realisiert die Synthese zwischen Innen und Außen, Hierarchie und Gemeinschaft, zwischen dem Primat des Handelns Christi und dem Anteilnehmen des Menschen, zwischen der gegenwärtigen und der im Eschaton erstrebten Wirklichkeit, zwischen Erde und Himmel“ (Congar). Das Pascha-Mysterium ist in der Feier der Eucharistie sakramental verdichtet. Diese ist die realsymbolische Zeichenhandlung schlechthin: anamnetisch-epikletischer Vollzug im Modus eulogischen Gedenkens, worin die Kirche Anteil an der koinwni/a Jesu Christi mit dem Vater im Heiligen Geist erbittet und erhält (Aktual- und Realpräsenz). Die Feier der Eucharistie umfaßt Gedächtnis, Vergegenwärtigung und Mitvollzug von Leiden, Tod und Auferstehung des Herrn. In ihr wird die wirkmächtige Gegenwart des Herrn zum sakramentalen Ereignis. So verwirklicht die Eucharistie zusammenfassend den Kern des Mysteriums der Kirche.

Die Eucharistie ist das wesentliche Lebensprinzip der Gemeinschaft in Christus. Die Kirche lebt aus der Eucharistie (Ecclesia de Eucharistia). In der eucharistischen Gemeinschaft vollzieht sich die kirchliche communio. In ihr vollzieht sich auf sakramentale Weise die Gabe des Sohnes an den Vater im Geist. Die Eucharistie ist somit Gipfel, Quelle und Mittelpunkt allen kirchlichen Lebens. Daher wird sie beständig, am Sonntag und von hier aus auch an jedem weiteren Tag, gefeiert. Die immer wiederholte Feier – so als ob wir geschichtlich selbst dabei wären, indem wir das eucharistische Antlitz Christi in anbetendem Staunen betrachten – unterstreicht das Faktum des Hineingenommenseins des Menschen in das Pascha-Mysterium des Sohnes. Sie ist gerichtet auf die Verehrung Gottes und die Stärkung der Gläubigen.

Indem sie von der Eucharistie ausgehen, vollziehen alle weiteren liturgischen Feiern auf sakramentale Weise das Fortwirken, die Repräsentation des Pascha-Mysteriums in der Kirche, in der Vollzugseinheit göttlichen und menschlichen Wirkens (realsymbolische Zeichenhandlungen). Sie sind zuallererst Werk Christi im Geist, sodann Werk der ganzen Kirche, worin sich die konkret versammelte Glaubens-gemeinschaft bzw. der einzelne Gläubige einfindet.

Die Feier der Liturgie (Glauben im Modus des Feierns, öffentliche Kulthandlung, sinnvoll-zweckfreies Geheimnis) bezeichnet und bewirkt durch sinnenfällige Zeichen die Verherrlichung Gottes und die Heiligung des Menschen. Sie bildet den „Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“ (SC 10). Sie ist daher öffentlicher Akt der ganzen Kirche. Wesen und Grundstruktur der Liturgie entsprechen dem Wesen der Kirche: „zugleich göttlich und menschlich, sichtbar und mit unsichtbaren Gütern ausgestattet... und zwar so, daß dabei das Menschliche auf das Göttliche hingeordnet und ihm untergeordnet ist, das Sichtbare auf das Unsichtbare, die Tätigkeit auf die Beschauung, das Gegenwärtige auf die künftige Stadt, die wir suchen“ (SC 2).

In der Feier der Liturgie vollzieht sich die Gott-menschliche Dialogik in ökonomischer Perspektive in heiliger Handlung. Ihre Struktur ist die des heiligen Tausches, eines Entsprechungsgeschehens von Teilgabe sowie Teilnahme und Hingabe. Gott spricht zu seinem Volk und handelt gut an ihm; das Volk antwortet mit Gesang und Gebet.

 

5. Von ihrem sakramentalen Kern aus kommen alle Grundvollzüge der Kirche zur Entfaltung und verwirklichen auf vielfältige Weise das eine Leben im Glauben (koinwni/a) in seiner vielfältigen Gestalt. In besonderer Weise sind dies das prophetische Zeugnis im Glauben (marturi/a), die priesterliche Feier der Verherrlichung Gottes (leitourgi/a) und die königliche Heilsgabe im Dienst am Nächsten (diakwni/a). Im Vollzug der Feier ist im Pneuma stets Christus der eigentlich Handelnde. So ist Christus der Prophet, der Priester und der König schlechthin, der als das Haupt seines Leibes auf das innigste mit dem pilgernden Gottesvolk verbunden ist. In ihren Vollzügen verwirklicht die Kirche, ihrer sakramentalen Konstitution entsprechend, konkret, sichtbar und geschichtlich, was sie selbst bezeichnet. Kirchlicher Vollzug entfaltet sich in Welt. Irdische und himmlische Dimension der Kirche bilden dabei eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst (analog dem mysterium incarnationis des fleischgewordenen Wortes) und in der eschatologischen Spannung lebt.

Eine Vielzahl von Personen bildet das eine Volk Gottes, das sich zum mystischen Leib Christi zusammenfügt. Die Kirche integriert die Mannigfaltigkeit der Personen in die Einheit des Leibes. Und obwohl die koinwni/a mit Gott und untereinander jeweils eine personbezogene Größe darstellt, ist der Leib der Kirche keine nachträgliche, sondern eine ebenfalls ursprüngliche, von Gott selbst gewirkte, eigenständige Größe. Die Kirche ist weder Funktion noch Epiphänomen der Übereinkommenden. Mit der Vielzahl der Personen geht eine Vielzahl von Gaben, Charismen, Fähigkeiten, Stilen und Präferenzen einher, die die einzelnen Glieder in die Viel-Einheit (Einheit-in-Mannigfaltigkeit) der Kirche einbringen.

Die vom Herrn im Geist geschenkte koinwni/a, die Hineinnahme in das Pascha-Mysterium, das sakramentale Heilsgeschehen ist eine personale Größe; in ihr gründet die direkte, unmittelbare Beziehung des Menschen zu Gott. Hierin besteht die vertikal-charismatische Dimension der Kirche, die im Wirken des erhöhten Herrn durch seinen Heiligen Geist begründet ist.

Das Wirken Gottes geschieht jedoch sakramental, d.h. die Gnadenwirklichkeit ist gegeben in sichtbarer Ausdrucksgestalt. Das Sakrament bewirkt die Gnade, die es bezeichnet. So steht die Kirche als das im Mysterium schon gegenwärtige Reich Christi zugleich sichtbar in der Welt. In Welt erhält die Kirche so die leibhafte Gestalt einer sozialen Struktur, einer Körperschaft bzw. einer Organisation. In Welt ist die Kirche als sichtbares Gefüge nach Art einer Gesellschaft verfaßt (LG 8). Dies ist die horizontal-geschichtliche Dimension der Kirche, die ihrerseits noch einmal einen letztlich vertikalen Grund hat.

Die Kirche entspringt am geschichtlichen Ursprungsort der Erfahrung des Pascha-Mysteriums: Jesus Christus übergibt seine Sendung an die Gemeinschaft der Jünger. Mit der Beauftragung an die Gruppe der Apostel werden diese zu Gesandten in alle Welt, zu Verwaltern und Ausspendern des Mysteriums. Diese Sendung geht auf die Nachfolger im Kollegium der Apostel über. Somit ergibt sich ein apostolischer Grundzug der Kirche, der im (sakramentalen) kirchlichen Amt fortbesteht.

Das geistliche Amt, das dem sakramentalen Wesen der Kirche eingestiftet ist, besteht darin, in der Vollmacht und Sendung Jesu Christi zu handeln. Es ist personal verfaßt. „In persona Christi“ und in der Vollmacht seines Geistes zu handeln bedeutet aber mehr, als nur im Namen Jesu, an seiner Stelle sein Werk auf Erden weiterzuführen. Der spezielle Träger des geistlichen Amtes handelt hinsichtlich des Vollzugs der amtlichen Handlung in sichtbarer und personaler Repräsentation Christi. Er ist der Christusrepräsentant in der Realgestalt des Symbols, in der sakramentalen Identifizierung mit Christus, dem ewigen Hohenpriester. In der kirchlichen Ämterordnung (Hierarchie) wird das eine kirchliche Amt im Kollegium des Episkopats als der Vollgestalt, sowie abgestuft im Kollegium von Presbyterat sowie Diakonat vollzogen. Das Kollegium stellt wie auch schon das Amt eine vorgeordnete Größe dar, an der die einzelnen Träger des Amtes sakramental teilhaben. Die Aufgabe des Amtes besteht in der besonderen Übernahme des triplex munus (munus docendi, munus sanctificandi, munus regendi), um so die Herde zu weiden. In diesem „sein-für“ tritt der Amtsträger, der selbst Teil des Volkes Gottes ist, den jeweils übrigen Gläubigen gewissermaßen gegenüber (pastorale Pro-Existenz). Dabei ist es aber stets Christus selbst im Heiligen Geist, der die geistliche Wirkung in Lehre, Heiligung und Leitung hervorbringt. „In persona Christi“ und „epikletisch-deprekativ“ bedeuten insofern Perspektiven des einen und selben Vollzugs, die im akthaften Vollzug niemals getrennt sind.

Der Bischof ist das sichtbare Prinzip und das Fundament der Einheit seiner Kirche. Der Papst bildet das konstitutive Zentrum des Bischofskollegiums. Seine besondere Aufgabe ist es, die kirchliche koinwni/a zu fördern. Idealbild des Bischofs ist der gute Hirte, der, in der Heiligkeit des Lebens Christus ähnlich geworden, sich hochherzig für die ihm anvertraute Kirche einsetzt und gleichzeitig die Sorge für alle übrigen Teilkirchen im Herzen trägt. So ist er mit seinem ganzen Leben auf den Aufbau der Kirche hin ausgerichtet, dazu angetan, sich in der Verherrlichung Gottes und im Dienst am heiligen Volk Gottes völlig zu verausgaben. Das sakramentale Amt macht für den Bischof einen „Weg der Heiligkeit erforderlich, der in einem beständigen Fortschreiten zu einer immer tieferen spirituellen und apostolischen Reife besteht“ (pastores gregis).

Amt und Charisma bedeuten kein antagonistisches Spannungsverhältnis. Beide gründen im Wirken des Herrn, der die sich durch die Geschichte kontinuierlich entfaltende Institution gleichsam vertikal immer wieder von neuem trifft. Charisma und Amt stellen insofern zwei Wesenszüge der einen Kirche dar. Ihr Verhältnis ist auf ein fruchtbares Zueinander hingeordnet. Dem Charisma kommt es zu, das Amt zu nähren; dem Amt kommt es zu, das Charisma zu führen, zu ordnen, zu integrieren. Amtliches Wirken ist zu verstehen als sakramentale Verleiblichung des pneumatischen Wirkens. Das hierarchische Prinzip korrespondiert dabei mit dem synodal-communialen Prinzip. Basis dessen bleibt das Personprinzip.

Seit der Konstantinischen Wende und dem Staatskirchentum gewann jedoch immer mehr eine juridische Sicht auf die Kirche an Gewicht. Die sichtbare Kirche erhielt dabei zunehmend die Gestalt eines „imperium“, dessen Träger das kirchliche Amt war. Dabei bildete sich de facto immer stärker ein Primat des Amtes (Hierarchie) im Verständnis des Wesens der Kirche heraus. Kirche manifestierte sich mitunter als christliche Gesellschaft. Dabei traten eine äußere, offizielle, hierarchische Seite und die innere, geistliche Seite oftmals auseinander. Der äußeren Unterwerfung unter den Glauben (Disziplin) stellte sich ein personaler Glaube (Gewissen, Frömmigkeit) gegenüber. Für Jahrhunderte blieb das juridische Paradigma dominant. Nach dem Vatikanum I setzte erst mit dem 20. Jahrhundert eine fundamentale und fruchtbar rezipierte Reflexion auf das Wesen der Kirche ein.

Eine juridische Sicht der Kirche muß sich immer neu auf die Tiefendimension des Mysteriums radikalisieren lassen. So ist die Einheit der Kirche nicht primär juridisch, sondern in der gemeinsamen Anteilhabe am Heiligen, insbesondere in der Eucharistie, begründet. Im Geheimnis der Kirche gipfelt (oikonomisch) das koinoniale Entsprechungsverhältnis göttlichen Wortes (Erwählung) und menschlicher Antwort (Gehorsam).



 

VI. Spiritualität

 

1. Die Gottbetroffenheit ist Grunddatum des Menschseins. Nun aber ist der Mensch aufgrund seiner Freiheit in ein sich-Verhalten „angesichts von“ gestellt. Im Vollzug seines Menschseins steht der Mensch daher nicht zuletzt vor der Herausforderung, sich auch angesichts Gottes zu verhalten und – indem er sich zu seinem Gottesverhältnis nochmals verhält – dessen Entfaltung auch aktiv zu gestalten (qewri/a, pra~civ, poi/hsiv).

Die Inkommensurabilität zwischen Gott und Welt bedingt eine gewisse Eigentümlichkeit dieses Verhältnisses. Schließlich steht Gott nicht als aliudquidhaftes Objekt der Intentionalität des Menschen gegenüber, so als ob dieser sich erst nachträglich auf ihn beziehen würde. Insofern kann dieses Verhältnis seiner Gestalt nach nicht eigentlich welthaft kategorial und gegenständlich geprägt sein. Andererseits aber ist dem Menschen von Seins wegen nichts anderes möglich als sich welthaft zu vollziehen und weltbezogen zu handeln. So bleibt die Intentionalität des Menschen auf Gott hin – immer als Antwort an den, der mich bereits zuerst gerufen hat – eine seinsabgründige Ausrichtung, die nicht ins leere geht, deren Termination aber welthaft nicht direkt erfahrbar wird.

In erweiterter Perspektive verhält sich die Intentionalität auf Gott im Hinblick auf die übernatürliche Ordnung. Gott ist  im Sohn wirklich Mensch (Gott in Welt) und nimmt im Pascha-Mysterium von Tod und Auferstehung im Heiligen Geist die Welt in seine Relation auf den Vater hin hinein (Welt auf Gott hin). Die Intentionalität des Menschen auf Gott hin findet also in Jesus Christus, dem für uns sichtbar gewordenen Antlitz Gottes, ein menschliches Gegenüber; sie wird im Pneuma getragen und hineingenommen in die Dialogik des innergöttlichen Lebens.

Die eschatologische Vollendung der Gnade steht aber noch aus. So ist die neue Wirklichkeit, obgleich schon angebrochen, in dieser Weltzeit noch nicht vollendet. Der Modus, die Gnade zu erfahren, bleibt daher zunächst der des Glaubens. Die Intentionalität des Menschen auf Gott hin steht mitunter sogar in der Entblößung der dunklen Nacht des Glaubens. Sie verbleibt in jedem Fall unter dem Gesetz der Analogie als Beziehung gegenseitigen Andersseins.

Als solche ist die Gottesbeziehung jedoch real. Das Leben des Menschen angesichts Gottes ist ein wirkliches „vor Gott stehen und ihm dienen“, das Verhältnis entspricht einem dialogischen Gegenüber. Die Dialog-Situation „Sein angesichts Gottes“ oder „Gegenüber Gottes“ markiert die Grundbefindlichkeit des Menschen vor Gott (homo capax infiniti).

 

2. Die Entfaltung des Freiheitsverhältnisses des Menschen angesichts Gottes fordert dessen aktive Gestaltung. Dabei geht es darum, den als Existential gegebenen ursprünglichen Bezug auf Gott nun auch explizit einzuholen und zu vergegenwärtigen.

Die religiöse Erfahrung – in der untrennbaren Einheit von direkter Erfahrung und Reflexion – ratifiziert dieses Verhältnis in der Perspektive des Bewußtseins und erschließt die mit diesem Verhältnis einhergehende persönliche Relevanz als „Getroffensein von jenem“ (Illeität), dem Anderen meiner (Levinas). Persönliches Betroffensein bedeutet unvertretbares angesprochen- und gemeint-Sein. Das geistige Innewerden führt in der Unmittelbarkeit des Erlebens (no/hsiv) zum Ergriffen-sein des ganzen Menschen, welches seiner Äußerung nach mitunter auch in der Bewegung des Gemüts vernehmbar wird. Die religiöse Erfahrung erschließt insofern einen bleibenden, unmittelbaren Eindruck, der einen bestimmten Ausschnitt des Lebens zum Erlebnis werden läßt.

Der Gehalt des Erlebnisses (no/hma) besteht in der positiven Erfahrung der schlechthinnigen Abhängigkeit des Menschen von Gott. Dies umfaßt die Erfahrung der begründenden, bergenden Macht Gottes in einem absoluten Sinn, das Wissen um die Geborgenheit in Gott (anamnetisch: eingedenk dessen, was er mir gutes getan hat), die mit der Haltung des Vertrauens und des Dankes einhergeht. Ich darf mich in Gottes Hand geborgen wissen, in ihm ruhen, mich ihm überlassen; umfangen von Gott, getragen, geführt. Darin anerkenne ich ihn als den tragenden Grund meines Lebens. Mein Leben wächst in die Haltung der Hingabe auf Gott hin.

Religiöse Erfahrung bedeutet das Aufscheinen Gottes (Epiphanie) in der Perspektive des akthaften Vollzugs meines Lebens: sei es als „Einfall Gottes im Denken“ (Levinas), sei es als „Erlebnis des Geborgenseins in Gott“ (Reinach) oder in einer anderen Weise, die Gott gefällt. Religiöse Erfahrung umfaßt ein Ganzes: das Gesamt meiner gegenständlichen, welthaften, direkten Erfahrung zugleich in der Gesamtheit der Reflexion auf das Erfahrene. Auch indirekte Erfahrung ist ein Modus des Gegebenseins; indirekt Erfahrenes ist nicht minder real. Es ist Bewußtseinsinhalt nicht in einem defizienten Sinn. Vielmehr entspricht es der Eigentümlichkeit des Gegenstands bzw. des Gegenübers, auf diese gewissermaßen indirekte Weise erfahren zu werden. Insofern kann mit Recht von tatsächlicher religiöser Erfahrung gesprochen werden. Diese meint keinen mysteriösen Sonderweg der Erkenntnis, keine erkenntnisjenseitige Gefühlswelt. Jenseits des im Vordergrund Gewußten kommt das Gottgeheimnis der Welt im Hintergrund zum Bewußtsein. Die Reflexion vermag das Erfahrene zu erschließen. Dabei wird bewußt eingeholt, was sich unthematisch bereits ereignet hat. Religiöse Erfahrung erscheint als Außenansicht einer inneren Wirklichkeit. Das transempirische, reine Ich (Personkern) kommt im emprischen Ich zum Ausdruck. Das „Herz“ wird zum Symbol, das sich dem Zugriff entzieht. Es steht synonym für den ganzen Menschen und seine Mitte. Es gilt als „Sitz des denkenden Geistes“ (Gregor von Thessaloniki). Indem das Herz den Ort bezeichnet, an dem sich die Begegnung von Gott und Mensch vollzieht, wird es zum heiligen Ort, zum Tempel des Heiligen Geistes.

 

3. Die Situation des Menschen als „Gegenüber Gottes“ wurzelt im unüberholbaren Gründungsbezug. Dieses Existential kommt in der Existenz des Menschen zur Entfaltung und erhält in seinem Dasein eine konkrete Gestalt. Dabei steht der religiöse Akt nicht auf einer Ebene mit anderen akthaften Vollzügen. In ihm artikuliert sich die ursprüngliche, seinsabgründige Bezogenheit des Menschen auf Gott. Der religiöse Akt als Totalakt (J.B. Metz) der menschlichen Person hat seinen Sitz nicht in einer bestimmten Fähigkeit des Geistes (Intellekt, Wille), sondern geht mit dem Grundvollzug des menschlichen Daseins einher. Der menschliche Grundvollzug angesichts Gottes bedeutet, die eigene conditio humana in natürlicher und übernatürlicher Perspektive bei sich zu realisieren. Hierin entfaltet sich die Haltung eines responsorisch hingebenden Bejahens. Als höchster Akt der Freiheit, der zugleich von Gott getragen ist, umfaßt der religiöse Totalakt die Bewegung eines aktiven Bemühens wie auch eines passiven sich Öffnens. Die Epiphanie Gottes im Herzen jedes Einzelnen lädt dazu ein, sich Gott ganz aussetzen und sich von seiner Liebe ergreifen zu lassen.

Im lebendigen Vollzug der Spiritualität wird das Existential des Menschen in einer konkreten Existenzform entfaltet. Die Gottesbeziehung des Menschen erhält eine konkrete Lebensgestalt, seine Antwort eine persönliche Form. Im Zentrum steht dabei die Verwirklichung der koinwni/a.

Der Vollzug dieses Totalakts entfaltet sich in Einzelakten und korrespondiert mit bestimmten Ausdrucksformen. Das transempirische, reine Ich (Personkern) kommt im emprischen Ich zum Ausdruck. Ausdruck der Haltung vor Gott ist das Gebet als Gespräch mit Gott (diale/civ, homilia, conversatio). Es ist Ausdruck eines freimütig vertrauten Umgangs mit ihm (parrhsi/a), Ausdruck der Geborgenheit und des Ruhens in Gott. Im Gebet kommen der Dank für das Vergangene, das Leben in der Gegenwart Gottes sowie Hoffnung und Bitte für die Zukunft zum Ausdruck. Es bezeugt die in der Auferstehung Christi und in der Geistsendung begründete Gewißheit der Nähe Gottes.

Die Entfaltungen des geistlichen Lebens sind auf die Verherrlichung Gottes gerichtet. Im geistlichen Leben bezieht sich der Mensch ganz auf Gott und bezieht alles darin ein.

Nicht zu verwechseln ist das geistliche Leben jedoch mit den verschiedenen Ausprägungen des anthropischen und kulturellen Phänomens „Religion“. Zwar kann die menschliche Rückbindung an und in Richtung auf Gott, die sich in konkreten Vollzügen äußert, durchaus als Religion verstanden werden. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß (1.) das geistliche Leben im christlichen Sinn keineswegs mehr ein nur menschlicher Vollzug ist. Der Mensch ist im Pneuma mit hineingenommen ist das Pascha-Mysterium des Sohnes. Gott beruft ihn zur Gemeinschaft mit sich, zur Teilnahme an seinem Leben und erhebt ihn sakramental über die kreatürliche Perspektive hinaus. So ist das geistliche Leben durch Gott in besonderer Weise getragen: im Heiligen Geist durch Christus zum Vater vollzieht sich der Mensch ganz von Gott her und auf Gott hin in den Modi von Dank und Bitte, Anbetung und Lobpreis.

Des weiteren (2.) unterscheidet sich das geistliche Leben im christlichen Sinn seinem Wesen nach von vielen Ausprägungen des Religiösen. Dort stehen vielfach Techniken (der Ich-Auflösung, der Sammlung o.ä.) im Fokus, die mit bestimmten Vollzügen des Subjekts einhergehen. Im geistlichen Leben hingegen geht es niemals eigentlich um Methoden; einzelne können sich zuweilen als hilfreich erweisen. Weder direktes noch indirektes Ziel ist die Erreichung eines Bewußtseinszustandes, einer Enstase, einer Entleerung, einer Läuterung, einer Erleuchtung oder irgendeines anderen direkten te/lov. Im geistlichen Leben geht es einfach um Gott – kategorisch. Die dem Religiösen zumal eigene Sucht nach Außergewöhnlichem, nach Formen des Supranaturalismus (Wunder, Erscheinungen, Ekstasen) beflügelt zuweilen das Mißverständnis dessen, was mit den Gaben des Geistes (Charisma) gemeint ist. Häufig begegnet ein Dualismus Leib – Geist, der in der Abtötung des Leibes eine Befreiung des Geistes auszumachen sucht (sw~ma sh~ma) und zu einer gnostisch-manichäischen Disqualifizierung des Leiblichen neigt. Auf dem Weg einer gewissen Spiritualisierung soll das Gebet sozusagen zur Reinheit erhoben werden. Bittgebet erscheint demzufolge nur als etwas für Anfänger, die auf dem Weg noch nicht sehr weit vorangeschritten sind, der letztlich zu einem esoterischen Wahrheitsbesitz führen soll. Die Denkmuster „Stufenweg“ und „Schichtontologie“ führen zu einer Mißdeutung des irdischen Pilgerwegs als „Aufstieg zu Gott“. Nicht selten werden Standesunterschiede mit dem Maß des Vorangeschrittenseins zu rechtfertigen gesucht. Den weniger Erleuchteten wird die äußere Absolvierung eines Pensums anempfohlen. Das eigentliche geistliche Leben wird demgegenüber den Fortgeschrittenen vorbehalten.

Auch gewisse Formen der Mystik erscheinen problematisch. Eine Naturmystik zielt zumeist auf die Abdankung des Ichs zugunsten eines anderen Zentrums. Damit sucht sie eine Zurückdrängung des Personhaften, ein erlebnisseitiges Transzendieren von Raum und Zeit und eine gewisse Überwindung von Freiheit und Bewußtsein zu erreichen. Die Verschmelzung des Ich mit einem „All“ soll eine Art kosmisches Bewußtsein ermöglichen. Die Erlebnisform ähnelt offenbar der des Manisch-Depressiven. Ein derartiger Rauschzustand könnte auch künstlich durch bestimmte Drogen hervorgerufen werden. Formen der Selbstmystik zielen auf die Erzeugung innerer Erfahrungen. Der Mensch soll in die Tiefe des eigenen Bewußtseins hineinsteigen und in sich verweilen (Enstase). Hier erreicht er die Erfahrung einer Sphäre im Inneren, die nicht seiner gewöhnlichen Selbsterfahrung entspricht. Plotin spricht von einem Stillestehen im Göttlichen.

 

4. Demgegenüber zielt das geistliche Leben im christlichen Sinn schlicht auf ein Leben mit Gott – implizit wie explizit. Formen der lebensmäßigen Einholung Ich-hafter Aspekte sind dabei höchstens instrumentell und sekundär. Nicht die Einübung von Techniken steht daher im Fokus, sondern das lebendige mit-Sein. Es geht um die Ausfaltung der koinwni/a mit Gott und untereinander. Gerade weil das Verhältnis von Gott und Welt seinsabgründig ist, besteht in diesem Verhältnis keine heillose, gleichsam gattungsbedingte Spannung zwischen einem Vertreter der Gattung „Gott“ und einem Exemplar der Gattung „Mensch“, die es zu überwinden gelten würde. In der Begegnung von Gott und Mensch ereignet sich kein Widerspruch, der durch Auflösung meiner selbst in Gott hinein zu überwinden wäre. Nicht ins Unendliche sind wir unterwegs, sondern zur vollendeten Endlichkeit bei Gott. Der Mensch ist zur End-Gültigkeit des mit-Seins berufen.

Das „Eigentliche“ (Caffarel) für das geistliche Leben ist daher nicht die Abkehr von äußeren Zerstreuungen, nicht die Einübung einer inneren Konzentration, sondern die Hinkehr des Herzens auf Gott, der Entschluß zu beten. Das Gebet ist dann „gut“, wenn sich das Subjekt auf Gott hin beziehen, sich von ihm ergreifen lassen will. Es ereignet sich in der Haltung, sich von Gott angeblickt zu wissen. Das Gebet vereint „innen“ und „außen“, „individuell“ und „ekklesial“ sowie „Sprache“ und „Schweigen“. Auch im geistlichen Leben ereignet sich der menschliche Vollzug nicht anders als „in Welt“; dieser hat daher stets eine kategoriale Dimension. Die Richtung des Beters auf Gott entspricht daher der Weise, wie die Ikonenverehrung zu verstehen ist: der Beter verehrt die Ikone, wobei er seine Gebete gleichsam angesichts/vermittels/durch das Medium des Bildes zum Himmel erhebt.

Im Gebet entsprechen sich menschliche Aktivität und Passivität Gottes sowie menschliche Passivität und Aktivität Gottes. Nicht anders könnte sich ein dialogisches Entsprechungsverhältnis in der Beziehung gegenseitigen Andersseins betragen. Kennzeichnend hierfür ist die Einheit des aktiven sich-Bemühens und des passiven sich-Öffnens in der Haltung der Sazienz. Das Gebet ist Geschenk Gottes und zugleich in der freien Verfügung des Menschen, so wie das Leben des Menschen eine verdankte Freiheit ist. Die Situation des Menschen angesichts Gottes trägt den Charakter der Berufung: Eine Einladung zur koinwni/a, der der Mensch entsprechen soll.

In der Gottesverehrung wird die conditio humana nicht durchbrochen, sondern realisiert. Der ganze Mensch wird in das Lob Gottes hineingenommen. Der kontemplative, gottbezogene Grundmodus muß für das Leben prägend werden. lex orandi – lex credendi – lex vivendi: Beten, Glauben und Leben konvergieren. Für den akthaften Vollzug des Menschen gilt die Einheit von Selbst-, Gottes- und Nächstenliebe. Dem entspricht die alles durchwaltende Haltung der Hingabe.

5. Christliche Spiritualität ist keine individualistisch-anachoretische Privatmystik; geistliches Leben hat immer eine kirchliche Dimension. Die Kirche entspringt ja dem koinonialen Leben des dreifaltigen Gottes selbst. Er selbst verwirklicht in der Kirche eine neue – übernatürliche – Dimension der koinwni/a zwischen sich und den Menschen sowie zwischen den Menschen. So ist das christliche Leben mit dem Sohn auf den Vater hin getragen im Heiligen Geist. Das Leben der Gnade vollzieht sich im Raum der Kirche. Christliche Existenz heißt kirchliche Existenz.

Balthasar spricht von der „Mysteriendimension der objektiven kirchlichen Dogmatik“ und widerspricht damit dem Rückzug der Spiritualität in den Bereich des Privaten. Der Heilige steht in kirchlicher Weise vor Gott: durch Christus im Heiligen Geist angesichts des Vaters. Dabei steht er nicht allein vor Gott. Er repräsentiert alle, steht stellvertretend für alle und nimmt die ganze Kirche mit hinein – dies gilt in erster Linie von Christus, von hier aus dann aber auch für uns alle.

Der objektiven Heiligung durch Christus im Heiligen Geist vom Vater her muß als Antwort die subjektive Heiligkeit des Einzelnen entsprechen.

Die Heiligkeit des Lebens geht mit der emergenten Dynamik im menschlichen Grundakt einher; dieser Erst- und Grundakt kommt in den einzelnen akthaften Vollzügen zur Ausprägung. Hieraus resultiert die Mannigfaltigkeit der je-persönlichen konkreten Ausdrucksgestalt dieser Heiligkeit. Dem entsprechen die Vielfalt der Stile, die vielfältigen persönlich-konkreten Lebenswirklichkeiten, die Viel-Einheit christlicher Daseinshaltungen (Sudbrack).

Der Weg zur Verwirklichung dieser Heiligkeit geht mit dem Wachstum in der Liebe einher; ihre Verwirklichung bedeutet die Hingabe des Lebens in den Dienst der Verherrlichung Gottes und den Dienst für den Nächsten. Johannes Paul II. äußert gar den eindringlichen Appell, die Berufung zur Heiligkeit an die erste Stelle zu setzen.

Mittel, um das eigene geistliche Leben zu nähren, sind u.a. die Betrachtung des Wortes Gottes, das Leben aus der Feier der Eucharistie; im Gebet erklingt die Stimme der Braut, die zum Bräutigam spricht; in der Feier der Liturgie der Tagzeiten erklingt der immerwährende Lobgesang zur Verherrlichung Gottes; die ständig wiederkehrende Erhebung des Herzens zu Gott drückt das Gegründetsein in Gott und die Richtung auf Gott aus. All dies gilt es sich je neu anzueignen, je neu im eigenen akthaften Vollzug Gestalt gewinnen zu lassen, um so immer mehr einem Lebensstil des ganz-bei-Gott-Seins zu entsprechen.

„Spiritualität“ kennzeichnet insofern die ganze Haltung des Menschen vor Gott. „Spiritualité“ (frz.) artikuliert insbesondere die persönliche Dimension in der Beziehung des Menschen zu Gott. Diese aber steht je schon im kirchlichen und pneumatischen Kontext. „spiritualis“ (pneumatiko/v) bezeichnet denjenigen, der sein Leben ganz aus dem pneu~ma heraus zu gestalten weiß und ganz aus dem pneu~ma lebt. Insofern steht Spiritualität als Inbegriff für das geistliche Leben, für das Leben in der Gegenwart Gottes, als integrale Grundstruktur christlicher Existenz.

 


 

 


 

VII. Existenz im Übergang

 

1. Existenz kennzeichnet die besondere Seinsweise des Menschen, die ihn von dinglichem Sein unterscheidet. Existenz ereignet sich als Vollzug und entbirgt so den akthaften Charakter menschlichen Daseins. Der menschliche Grundakt vollzieht sich in einer emergenten Dynamik der Selbstüberbietung. Der zu sich kommende Geist entfaltet sich in-über Materiellem und wächst über sich selbst hinaus in Bezüge hinein (Welt- und Seinsbezug, Seinsgrundbezug, Selbstbezug). Der menschliche Grundakt entfaltet sich in Einzelakte. Damit enthüllt sich Selbstsein als dynamischer, konkreter und relationaler Prozeß. Diese Entfaltung aber bedeutet ein Aufgespanntsein menschlicher Existenz in der Zeit. Existenz ereignet sich aus Vergangenem her auf Zukunft hin – doch stets nur in Gegenwart. Existenz vollzieht sich im Übergang. Menschliches Dasein vollzieht sich geschichtlich.

In der Entfaltung seines Daseins als Existenz entwirft und verwirklicht der Mensch mannigfaltig anderes und dabei zugleich auch sich selbst. Er entwirft und verwirklicht sich auf Ziele und in diesen auf ein Ziel hin, worin seine eigene Endgültigkeit Gestalt annimmt. Einmaligkeit und Endgültigkeit machen den Ernst der Situation aus, in der der Mensch sein Leben unvertretbar vollzieht. Gegenwart ist je einmalig und unwiederholbar; vollzogene Akte sind als gewesene nicht mehr ungeschehen zu machen.

Der menschliche Vollzug seiner selbst als Projekt ist geschenktes, ein in die eigene Verfügungsgestalt gegebenes Dasein. Dieses mag sich vielfältig-poietisch entfalten; es ist seinem akthaften Charakter nach aber nicht ins Belieben gestellt. Menschliche Existenz vollzieht sich als Antwort auf den ergangenen Anruf. Der Antwortcharakter menschlichen Daseins faltet sich vom Grundakt her bis in die Einzelakte aus. Menschliches Dasein steht unter einem unbedingten Anspruch und erhält hieraus ein Maß für den eigenen Vollzug, das im konkreten Urteil der Situation virulent wird. Das Leben steht unter einem unüberholbaren Apriori.

In der Existenz entfaltet sich die Vollzugseinheit schöpferischen Anrufs und kreatürlicher Antwort. Der Prozeß des Selbstvollzugs menschlichen Daseins als Existenz im Übergang vollzieht sich in der Verhältnis-Schwebe von Gott her – auf Gott hin. Insofern bleibt der Gründungsbezug unüberholbares Apriori des Lebens. Im Selbstvollzug wird sich der Mensch seines Aprioris auch bewußt, setzt sich mit der Frage seines Wohers und Wohins auseinander und bekommt auf dem Weg geistiger Auseinandersetzung das Gottgeheimnis der Wirklichkeit allmählich in den Blick. Dabei wird die Gottesbeziehung für den Menschen explizit. Eine Entscheidung des Menschen über sein Verhältnis zu Gott wird unausweichlich.

Das Bewußtwerden Gottes eröffnet erst die Möglichkeit, die bestehende apriorische Gottesbeziehung explizit mit Leben zu füllen. Dies bedeutet die Öffnung auf Gott, die Entscheidung für Gott, ein Einschwingen auf Gott, ein Leben mit Gott. Der Schöpfung durch Gott entspricht die Existenz des Menschen vor Gott. Das Geschöpf ist in einen Dialog mit Gott gesetzt und zur Antwort berufen. Die Situation des Menschen ist dabei weghaft, werdehaft, welthaft. Zudem ist der Mensch vom Tod bedroht, dem die physiologische Natur doch zwangsläufig ausgesetzt ist. Andererseits hat Gott die Dinge gemacht, damit sie sind, er, „ein Gott von Lebenden und nicht von Toten“ (Mk 12,27).

Menschliches Dasein gründet in der konstitutiven Gottesbeziehung des Gründungsbezugs. Die Substanz des Menschen als Teil der kreatürlichen Wirklichkeit läßt sich als subsistierende Relation in der Verhältnis-Schwebe „von Gott her – auf Gott hin“ begreifen. Schöpfung durch Gott als Akt seiner Freiheit kann nicht nur hypothetisch und auf Zeit verstanden werden. Gott liebt nicht unter Vorbehalt, sondern endgültig. Menschliches Personsein entspringt einem Gründungsbezug, der nur als dialogisches Freiheitsverhältnis verstanden werden kann. Schöpfung des Menschen als gerufener Freiheit impliziert ein unbedingtes Gemeintsein. In der Gott-Mensch-Relation deutet sich der Charakter der Endgültigkeit und der Unzerstörbarkeit an. Doch folgt daraus schon eine natürliche Bestimmung zur Unsterblichkeit? Weil Gott der Schöpfer ist, ist auch die Vollendung nur von ihm zu erwarten.

 

2. Eine neue Perspektive erreicht das Gott-Mensch-Verhältnis in der großen oi0konomi/a des Handelns Gottes in der Welt. In der Inkarnation des Sohnes und der Ausgießung des Geistes gipfelt die geschichtliche Selbstgabe Gottes an den Menschen. Die Hingabe Jesu Christi bis zur totalen Entäußerung am Kreuz offenbart die grenzenlose Liebe Gottes zu den Menschen. Der dialogische Charakter im Gott-menschlichen Entsprechungs-geschehen gewinnt in dieser oikonomischen Perspektive eine neue Qualität. Das Gründungsverhältnis mündet in ein auch geschichtlich-kategorial-partnerschaftliches Verhältnis.

Kraft des Heiligen Geistes wird der Mensch hineingenommen in das Pascha-Mysterium des Sohnes. Der Pascha-Übergang von Karfreitag zu Ostern markiert eine Äonenwende. Die Geschichte erreicht ihren Höhepunkt in der Fülle der Zeit mit einem Ereignis, das nicht das ihre ist und das ihre Immanenz durchbricht. Die Auferstehung Christi und damit die ganze übernatürliche Ordnung ist inkommensurabel zur Geschichte der Welt, deren Ende noch aussteht. Diese neue Wirklichkeit ist einerseits real, bleibt aber zunächst noch verborgen (Sakrament), bis sie am Ende der Zeit offenbar wird. Die erwartete Auferstehung ist ja nicht symbolisch, sondern real zu verstehen.

Im Pascha-Mysterium ist das Entscheidende bereits Wirklichkeit geworden. Hier ereignet sich die Auferstehung Christi, die auch die unsere ist. Der bereits vollzogene Durchbruch des eschatologischen Ereignisses überwiegt vor dem rein zeitlichen Aspekt der noch ausstehenden Vollendung in der Zukunft. Die Erwartung der Vollendung des Reiches ist daher präsentisch und futurisch zugleich, transponiert von einer zeitlichen in eine Existenzkategorie. Die Botschaft vom Reich Gottes ist die Mitte der Botschaft Jesu – nicht als etwas, das im Himmel ist, sondern das Gott auf Erden tut. Jesus Christus ist das den Jüngern gegebene Geheimnis des Gottesreiches in Person (Mußner); die Bilder für das Reich beschreiben daher keine Orte, sondern umschreiben Christus. Origines spricht von der au0tobasilei/a, die Jesus Christus selbst ist. Dieses Reich Gottes, schon gegenwärtig im Mysterium, wird in der Kirche als dem Sakrament, d.h. Zeichen und Werkzeug der innersten Vereinigung mit Gott, ausgefaltet, auf daß sie, während sie als Keim und Anfang in dieser Welt allmählich wächst, sich verlangend nach dem vollendeten Reich ausstreckt (vgl. LG 1; 3). Vom Ziel her erscheint auch der Anfang in neuem Licht. Eschatologie korrespondiert mit Protologie.

 

3. Es ist nicht möglich, eine Physik des Jenseits zu entwerfen und die Nachrichten von Übermorgen bereits heute bildhaft auszumalen. Zu sehr dürften sich der neue Himmel und die neue Erde von der gegenwärtigen unterscheiden, auch wenn es um die Vollendungsgestalt genau dieser gegenwärtigen Welt geht. Die Lehre von der „Auferstehung des Fleisches“ zeigt jedoch zweierlei: Einerseits bezeichnet sie die personale Identität; der künftig Vollendete umfaßt die ganze Person mit ihrer Geschichte und ihrem Leib. Andererseits aber geht es um die Verwandlung in einen völlig neuen Zustand – so wie der Auferstandene den Jüngern erschienen ist (w!fqh). Dabei geht es nicht um eine substantialistische Form von Unsterblichkeitshoffnung („Seele“). Die Auferstehung Christi, die auch die unsere ist, ist das Grunddatum. Das (nachösterlich gefaßte) vorösterliche Wort Jesu an die Sadduzäer (Mk 12, 18-27) enthält eine theologische Begründung der Hoffnung auf die Auferstehung. Nicht ein naturhaftes, substantialistisches Etwas, sondern die Gottesgemeinschaft begründet unzerstörbares, ewiges Leben. Dementsprechend versteht Paulus die Taufe als Eintreten in Christi Tod, aber als in einen solchen, der bereits auf die Auferstehung hin geöffnet ist (vgl. Röm 6, 1-14). Das Verständnis des Neuen Testaments gipfelt schließlich im johanneischen Jesus-Wort „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11, 25). Die Grenze zwischen Tod/Scheol und Leben verläuft mitten durch die menschliche Existenz. Christus ist dieses Leben, für noch auf dieser Welt Lebende oder bereits Gestorbene in gleicher Weise. Der physiologische Tod erscheint nicht mehr relevant.

Ewiges Leben bedeutet nicht nur etwas Künftiges. Ewiges Leben gründet in der Hineinnahme des Menschen in den innergöttlichen, trinitarischen Lebensvollzug. So findet auch das endgültige, vollendete „Sein bei Gott“ traditionell seinen sprachlichen Ausdruck in der Rede von der „Anschauung Gottes“ oder „visio beatifica“. Dabei handelt es sich um einen bestimmten Sprachgebrauch, dessen Zusammenhang mit der Antike unverkennbar ist. „Anschauung“ hebt den intellektuellen Aspekt in besonderer Weise heraus, markiert dieser doch den nach dieser Vorstellung höchsten geistigen Vollzug (vgl. Ideenschau bei Platon). „Anschauung“ bezeichnet dabei eine besondere Weise des hinnehmenden Realbezugs, eines „Innewerdens“ im Unterschied zum bloß distanzierten, eher sachhaften „zur Kenntnis nehmen“. Bonaventura etwa ergänzt diese intellektuell geprägte Terminologie um eher voluntative Begriffe wie fruitio oder dilectio.

Bereits im alttestamentlichen Judentum bezeichnet das Schauen Gottes (h)r) eine „ganzheitliche, das menschliche Subjekt mit seinem göttlichen Gegenüber in eine personale Beziehung bringende Wahrnehmung und Bewegung“ (M. Kehl). Spricht das Alte Testament zunächst eher narrativ von einer sinnlichen Wahrnehmung Gottes, dominiert später eine kultisch geprägte Sprache. Den Tempel zu betreten bedeutet gleichsam das Angesicht Gottes zu schauen. Der priesterschriftliche Sprachgebrauch betont mehr das Schauen der „Herrlichkeit“ Jahwes; diese wird von der eschatologischen Heilszeit erwartet (vgl. endgültige Sammlung des Volkes, Gericht über die Völker); dort wird dem Volk Gottes Nähe unvermittelt und unverborgen zuteil. Auch das Neue Testament kennt den Begriff des Schauens (o(ra/w) im Sinne einer zwischenmenschlich-personalen Wahrnehmung, wobei das Schauen eine existentielle Bedeutung hat. Es bezieht sich vor allem auf Person und Wunder Jesu, die im Glauben oder Unglauben wahrgenommen werden (vgl. w!fqh in den Zeugnissen des Auferstehungskerygmas).

„Anschauung“ meint also kein sachhaft-distanziertes Vernehmen, sondern ein dialogisches Geschehen mit existentieller Bedeutung. Dieses „Sein bei Gott“ ist Ausdruck der gnadenhaften Hineinnahme des Menschen in das Leben Gottes. Dies ist ja weit mehr als nur „Schau“. Irenäus v. Lyon spricht in diesem Zusammenhang von „qei~wsiv“ als dem Ziel der Heilsgeschichte, nämlich der Teilhabe der Menschen am Leben Gottes selbst, der innigsten trinitarischen Einwohnung. „Vergöttlichung“ meint dabei keine Auflösung des menschlichen Subjekts in Gott hinein oder eine irgendwie geartete Pantheisierung. Begriffe wie „hin-sein“, „mit-sein“ oder „in-sein“ kommen in diesem seinstranszendenten Bereich nun an ihre Grenze; ihnen kann keine Anschauung mehr zukommen. Gleichwohl bezeichnen sie die relationale Existenzform, die für das Gott-geschöpfliche Verhältnis konstitutiv ist. Dem Schöpfungs- und Offenbarungswort Gottes entspricht die Ant-Wort des Menschen, die die Hingabe des Eigenen in Gottes Liebe einschließt.

Das biblische Verständnis vom Gericht (+p#$) bezeichnet die Handlung Gottes, durch die der endgültige Zustand aufgerichtet, der Mw%l#$f für immer hergestellt wird. +p#$ bezeichnet die Gottesherrschaft, insofern sie nun ewig währt. Diejenigen, die von ihrer Erfahrung einer gestörten Ordnung in der Welt geprägt sind und daran leiden, mögen im eschatologischen +p#$ den besonderen Klang von „Rettung“ und „Erlösung“ hören. Von hier aus ist Gott ja in der Tat auch als Rettung und Heil des Menschen zu verstehen. Jenseits aller Anthropo- und Hamartozentrik soll aber der Fokus auf der vollendeten Gottesherrschaft und der koinwni/a bleiben. Gott selbst ist das Ziel.

Der Sieg der Gnade kommt im Gericht zum endgültigen Durchbruch. Die Parusie bedeutet die Vollendung des Menschen in die Voll- und Endgestalt des ewigen Lebens hinein. Diese bedeutet einerseits personale Kontinuität, zugleich aber auch einen qualitativen Überstieg über den jetzigen Zustand hinaus, dessen Gestalt vergeht. „koinwni/a“ oder „communio“  vermögen vielleicht am besten die vollendete dialogisch-relationale Existenz zu bezeichnen: Gemeinschaft mit Gott und den Menschen; denn wenn Vollendung durch mit-Sein und in-Sein mit Christus umschrieben wird, gehört hier auch das mit-Sein all derer hinein, die als Glieder zusammen mit ihm den einen Leib Christi bilden – jetzt und in eschatologischer Zukunft.


 

Das Institut zur Förderung der Glaubenslehre ist eine außeruniversitäre Einrichtung zur Förderung der Wissenschaft und Forschung im Bereich der Theologie (Förderung der Glaubenslehre) sowie der Bildung und Religion.

Der Gegenstandsbereich umfaßt insbesondere Fragen der Glaubenslehre und des kirchlichen Lehramts, die katholische Theologie in ihrer organischen Einheit sowie relevante Bereiche der übrigen Wissenschaften (z.B. Philosophie, Naturwissenschaften).

Der Fokus liegt auf systematischen Schwerpunktthemen mit zentraler Bedeutung, vor allem an der Schnittstelle von systematischer Theologie, Philosophie und der praktischen Bedeutung für das Leben im Glauben (z.B. Weltbild, Spiritualität, christliche Existenz).

Ziel ist es, methodisch auf die Grundfragen des gläubigen Daseins zu reflektieren (Denken im Glauben) und dies für das Leben der Menschen praktisch anwendbar zu machen (Leben im Glauben).

Kennzeichnend ist eine Tätigkeit, der es mehr um die Mitte und das Ganze der Theologie als um einzelne Teile, um die Einheit von wissenschaftlicher Theologie und lebendigem Glaubensvollzug, um Theologie in ihrem kirchlichen Bezug geht. Die theologische Arbeit wird von ihrer fachlichen Mitte her betrieben und konzentriert sich auf die zentralen Themen des christlichen Lebens. Dies erfolgt zweckfrei, unabhängig von Kategorien der Nützlichkeit, der aktuellen Diskussion oder des Zeitgeistes. Theologie wird dabei verstanden als Grundakt des gläubigen Menschen. Ihre Gestalt ist die der Reflexion. Als Glaubenswissenschaft zielt sie auf Erkenntnis im Sinne eines nachsinnenden Einholens, des systematischen Erhellens und Entfaltens der im Glauben angenommenen und je neu anzunehmenden Offenbarung Gottes.

 

 

 

 

 

Thomas Schumacher
Christliche Existenz

Wortmeldungen 4

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